Enric Juliana: Aquí no hemos venido a estudiar

Vom anti-franquistischen Widerstand der kommunistischen Partei Spaniens bis zu ihrer Bedeutungslosigkeit. Eine Hommage an Manuel Moreno und eine eindrucksvolle Lektion in spanischer Zeitgeschichte

Rezension von Knud Böhle | 05.09.2020

Enric Juliana, Journalist und stellvertretender Direktor der Zeitung La Vanguardia, erzählt uns die berührende Geschichte vom Schlosser Manuel Moreno aus Badalona, den er noch persönlich kannte und von dem er viel lernte. Moreno ist das leuchtende Beispiel eines integren, unbeugsamen, selbst denkenden Kommunisten und Widerstandskämpfers gegen die Franco-Diktatur. Die Zeit von 1947 bis 1964 verbrachte er als politischer Häftling im „kältesten Gefängnis Spaniens“ in Burgos. „Aquí no hemos venido a estudiar“ (Wir sind hier nicht zum Studieren hingekommen) setzt Manuel Moreno Mauricio ein Denkmal.

Dem Autor geht es, ausgehend von dem Einzelschicksal, aber um mehr. Es geht um Geschichte: „Die Geschichte des Gefängnisses in Burgos ist die Geschichte des Franquismus“ (S. 125). Den Schlüssel zu dieser Geschichte hat Juliana im Höhlengleichnis Platons gefunden: wer in der Höhle sitzt muss Schattenbilder interpretieren, um auf die wirklichen Verhältnisse zu schließen. Aber nicht nur die Häftlinge sitzen in der Höhle. Auch die kommunistische Partei Spaniens im Exil befindet sich in einer Höhle und kann die Verhältnisse in Spanien nicht zweifelsfrei deuten. Noch schwieriger wird es, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn die Weltmächte ins Spiel kommen und wie im Kalten Krieg geschehen, ihre Interessen rücksichtslos verfolgen.

Um 1960 saßen etwa 1.000 politische Häftlinge im „kältesten Gefängnis Spaniens“, von denen die meisten der PCE (Partido Comunista de España) bzw. der PSUC (Partit Socialista Unificat de Catalunya) angehörten. Wir lernen den Alltag in dem Gefängnis kennen: einerseits Verhöre, Folter, Isolation und Repression, andererseits Disziplin, Organisation, geheime Aktivitäten, Schulungen, Diskussionen und Widerstandsaktionen, aber auch Angst vor Verrätern und Spitzeln. Das Gefängnis bildet eine eigene soziale Realität, deren Schilderung mit einer Vielzahl oft abenteuerlicher Lebensgeschichten prominenter und weniger prominenter Parteimitglieder verbunden wird. Das Gefängnis wird zum Resonanzraum der Geschichte und zum Schauplatz des dramaturgisch geschickt in den Mittelpunkt gestellten Konflikts zwischen Manuel Moreno (PSUC) und Ramón Ormazábal von der kommunistischen Partei des Baskenlandes (Partido Comunista de Euskadi, PCE-EPK). Nachdem Ormazábal 1962 illegale Streiks im Baskenland organisiert hatte, wurde er gefasst und kam nach Burgos. Von ihm stammt der Titel gebende Satz „Aquí no hemos venido a estudiar“ (Wir sind hier nicht zum Studieren hingekommen). Er interpretiert nämlich die beträchtliche Streikbeteiligung als Hinweis auf ein mögliches, nahes Ende des Franco-Regimes und drängt auf unterstützende Aktionen vom Gefängnis aus. Manuel Moreno ist davon nicht überzeugt, sieht den Franquismus nicht am Ende und plädiert für das Lernen. Der Baske setzt sich in der Auseinandersetzung durch.

Da es Juliana auch um die Geschichte der PCE geht, ihre inneren Kämpfe, Fehleinschätzungen, Niederlagen und Kursänderungen, wird die Kontroverse Aktion vs. Reflexion auf der Ebene der Parteiführung ebenfalls zum Thema. Dolores Ibárruri und Santiago Carrillo müssen sich mit Javier Pradera, Jorge Semprún, Fernando Claudín und weiteren Dissidenten auseinandersetzen. Diese werden dann Mitte der 60er Jahre aus der Partei ausgeschlossen, unter anderem deshalb, weil sie den gesellschaftlichen Wandel in Spanien, den wirtschaftlichen Aufschwung und die wachsende Konfliktbereitschaft der Arbeiter anders interpretiert haben. Den Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzungen im Gefängnis wie in der Partei bildet die Frage, als wie hinfällig oder langlebig das Franco-Regime Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre einzuschätzen ist.

In der Literatur wird die neue Wirtschaftspolitik des Regimes häufig allein dem Einfluss der Technokraten des Opus Dei zugeschrieben. Dem widerspricht Juliana. Für ihn ist die Schlüsselfigur der wirtschaftspolitischen Wende der Ökonom Joan Sardà Dexeus, den er für den wichtigsten spanischen Wirtschaftsfachmann des 20. Jahrhunderts hält (S. 37). Sardà mag eine schillernde Persönlichkeit gewesen sein, Mitglied des Opus Dei war er jedenfalls nicht. Während des Bürgerkriegs hatte er schon die Wirtschaftspolitik der republikanischen Regionalregierung Kataloniens wesentlich mitgestaltet. Nun begegnet uns der anpassungsfähige Katalane als geistiger Vater des Stabilisierungsplans, der den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Franco-Regimes vermeiden half: Wachstum, bescheidener Wohlstand, entpolitisierte Mittelschichten… . Auf die Bedeutung Sardàs als Ökonom hinzuweisen, ist sicherlich angebracht. Ihn wie einen Deus ex Machina aus Katalonien einzuführen, erscheint mir gleichwohl etwas überzeichnet (insbesondere nach der Lektüre von Anna Catharina Hofmann: Francos Moderne. Technokratie und Diktatur in Spanien 1956-1973, siehe: https://spanienecho.net/rezensionen/).

Die neue ökonomische Politik bildet den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des Franquismus. Mit Verspätung erst reagiert die Parteiführung des PCE adäquat auf die neue Situation, wendet sich vom Stalinismus ab und dem Eurokommunismus zu. Nach dem Ende der Diktatur 1975 konnte die Partei hoffen, in der Parteiendemokratie eine wichtige Rolle zu spielen. Sie hatte den erbittertsten Widerstand gegen das Franco-Regime geleistet, war über die Basisarbeit in den Comisiones Obreras in den Fabriken anerkannt, und zählte zum Zeitpunkt der ersten freien Wahlen 1977 200.000 Mitglieder (weit mehr als der Partido Socialista Obrero Español, PSOE, mit ca. 50.000 Mitgliedern). Während der Transition gelang es dem PCE durchaus noch, Einfluss auf die Politik zu nehmen, exemplarisch bei der Erarbeitung der Verfassung von 1978 und dem Moncloa-Pakt. Trotzdem hat die Partei in den folgenden Jahren dann ihre Bedeutung fast gänzlich eingebüßt und ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Spätestens nach der vorgezogenen Neuwahl 1982 mit der absoluten Mehrheit des konkurrierenden PSOE beginnt der Weg des PCE in die Bedeutungslosigkeit. Juliana leistet auch hier die nötige Erinnerungsarbeit.

Journalistisch zieht Juliana alle Register, um das Buch zu einem „page-turner“ zu machen. Einiges davon wurde schon angedeutet: das Höhlengleichnis, die immer weiter werdenden Kreise um die Höhle von der Gefängniszelle bis zur Weltpolitik (filmisch: zoom-out, zoom-in), die Gegenüberstellung von Aktion und Reflexion auf verschiedenen Ebenen (Ormazábal vs. Moreno; Parteiführung vs. Dissidenten), die abenteuerlichen Lebenswege von Ormazábal und Moreno im Gegenschnitt sowie weitere oft sehr dramatische Einzelschicksale, die eingewoben werden (z.B. von Julián Grimau oder Juan Comorera) und Rückblicke auf die Zeit der Zweiten Republik und des Bürgerkriegs ermöglichen.

Der Autor kombiniert Persönliches, Archivmaterial, Analyse, Sentenzen und Anekdoten. Dabei entsteht ein einzigartiges literarisches Konstrukt, das vielleicht am ehesten als Essay bezeichnet werden kann. Um die vielleicht schönste Anekdote hier noch abschließend anzuführen: Es war ein andalusischer Priester, der „Cura Pitillo“ aus Vélez-Rubio, dem Geburtsort Morenos, dem der Kommunist Manuel Moreno die Umwandlung der gegen ihn verhängten Todesstrafe in eine Haftstrafe verdankte. Diesem gelang es nämlich zu Eva Perón, die bei ihrem Spanienbesuch 1947 auch Granada besuchte, vorzudringen. Er überreichte ihr seinen Brief mit dem Begnadigungswunsch, und ihr gelang es offenbar, Franco zu diesem Gnadenakt zu bewegen.

Bleibt zu wünschen, dass das fesselnde Buch auch auf Deutsch verlegt wird.

Enric Juliana: Aquí no hemos venido a estudiar: Memoria de una discusión en el penal más duro de la dictadura. El debate de un mundo olvidado que explica el presente. Arpa Editores: Barcelona 2020. ISBN-10: 841762354X

Raul Zelik: Spanien – Eine politische Geschichte der Gegenwart

Gut links informiert: Proteste, Parteien, Bewegungen nach der Krise 2008

Rezension von Knud Böhle | 01.11.2018 (durchgesehen erneut am 29.07.2020)

Bislang fehlte auf dem deutschen Büchermarkt ein Abriss der jüngeren politischen Geschichte Spaniens, der auch die letzten 20 Jahre einbezieht. Raul Zelik, seit 2016 Vorstandsmitglied der Partei DIE LINKE, Schriftsteller, Journalist, Übersetzer und Sozialwissenschaftler (2017 und 2018 Vertretungsprofessur für internationale und intergesellschaftliche Politik an der Universität Kassel) macht ein Angebot, diese Lücke zu schließen. Der ausführliche Anmerkungsapparat (S. 215-232) und auch der Deutungsversuch der Praxis der Partei Podemos im Lichte von Populismustheorien, zeigen an, dass das Buch wissenschaftlich ernst genommen werden will, wenngleich der Autor vermutlich in erster Linie das Informationsbedürfnis einer sich links verstehenden Leserschaft befriedigen möchte. Das eine schließt das andere nicht aus.

Das Buch ist in neun Kapitel unterteilt. Zunächst wird im Kapitel „Die Last der Transition“ der Übergang (die transición) von der Franco-Diktatur zur Demokratie, welcher über Jahre weithin als vorbildlich galt, äußerst kritisch hinterfragt. Straflosigkeit von Verbrechen der Diktatur und mangelhafte Aufarbeitung der Vergangenheit insgesamt sowie Parteienkorruption von rechts bis links, von zentralistisch bis regionalistisch, von groß bis klein, sowie der Umgang der Zentralregierung mit dem politischen Konflikt im Baskenland, sind wichtige Kritikpunkte, die angeführt werden. Allgemeiner zielt Zeliks Kritik darauf, dass es nie einen deutlichen Bruch mit dem Franco-Regime gegeben habe. Vom „postfranquistischen Elitenpakt von 1978“ und von „monarchistisch-franquistischer Kontinuität“ ist in dem Zusammenhang bei ihm die Rede. Eine solche Kritik an der Transition und den Demokratiedefiziten des politischen Systems gibt es selbstverständlich auch in Spanien. Dort wird sie in der Regel von einer Generation vorgebracht, die das Franco-Regime selbst nicht mehr erlebt hat.

Im zweiten Kapitel „Vom Wirtschaftswunder zum großen Krach“ erläutert Zelik das spanische Wirtschaftsmodell – mit den drei Säulen Tourismus, Bauwirtschaft und Immobilienmarkt und den zwei Begleiterscheinungen Immobilienspekulation und Korruption. Das spanische „Wirtschaftswunder“ endete 2008 in der tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise mit ihren verheerenden sozialen Kosten, insbesondere einer hohen Arbeitslosigkeit und skandalöser Obdachlosigkeit.

Auf diese Krise antwortete die spanische Gesellschaft mit massenhaftem Protest und dem Entstehen neuer politischer Bewegungen, denen vier Kapitel gewidmet sind: „Die Rückkehr der Bewegungen“, „Aus der Bewegung in die Institutionen“, „Podemos – von der Bewegungspartei zur Wahlkampfmaschine“ und „der Munizipalismus – Im Treibsand der Institutionen“. Zelik informiert kundig über die Initiativen auf kommunaler Ebene („Munizipalismus“), wie etwa die Plattform gegen Zwangsräumungen, und die am 15. Mai 2011 entstandene 15-M Bewegung der „Empörten“ (indignados). Die Bewegungen bildeten die Basis für die Gründung der Partei Podemos und für zahlreiche lokale Wahlbündnisse, die politisch alsbald sehr erfolgreich waren. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2015 erreichte Podemos bereits fast so viele Stimmen wie die sozialdemokratische Partei PSOE (Partido Socialista Obrero Español), und bei den Kommunalwahlen besiegten neuartige Wahlbündnisse mancherorts die etablierten Parteien und eroberten sogar die Rathäuser der Millionenstädte Barcelona und Madrid („Barcelona en Comú“ bzw. „Ahora Madrid“). Die detail- und kenntnisreiche Schilderung und Analyse des Aufkommens und Erstarkens dieser transversalen, „also spektren- und milieuübergreifenden Bewegung“ (S. 177) und ihrer Veränderungen auf dem Weg in die politischen Institutionen, gehört zu den Stärken des Buches. In der Analyse von Podemos wird aufgezeigt, dass ihre Gründer und Vordenker stark von linkspopulistischen Theorien, insbesondere denen von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, beeinflusst waren (S. 96ff), dass in der Praxis jedoch bald eine Orientierung an Umfragewerten und Wahlaussichten dominierte. Aus der offenen Bürgerbewegung wurde binnen Kurzem ein straff geführter „Wahlverein“ (S. 103) und „innerhalb von nur zwei Jahren“ habe Podemos die „klassische Funktion einer parlamentarischen Mitte-Links-Partei angenommen“ (ebd.).

In zwei ausführlichen Kapiteln wird anschließend die politische Entwicklung im Baskenland und in Katalonien behandelt. Das ist nicht nur dem Bedürfnis geschuldet, diese politischen Konflikte, einem deutschen Publikum verständlich zu machen. Zelik geht es um eine umfassende Kritik des spanischen Zentralstaates und deshalb interessieren ihn die Unabhängigkeitsbewegungen beider Regionen als „Motoren für demokratische Reformen und die Aufarbeitung der franquistischen Vergangenheit“ (S. 10).

Bezogen auf das Baskenland zeichnet Zelik ein differenziertes Bild des Konflikts. Er sieht dabei die Verantwortung für 35 Jahre Terror und Repression nicht nur bei der ETA (Euskadi Ta Askatasuna, deutsch: Baskenland und Freiheit), die sich als „revolutionäre, sozialistische Organisation zur nationalen Befreiung“ verstand, sondern auch beim spanischen Staat. Den bewaffneten Konflikt im Baskenland deutet er als Tragödie, „da die ETA ja seit 1976 letztlich nichts anderes forderte als die Durchführung eines Referendums, wie es 2014 in Schottland stattfand“ (S. 163). Darin klingt ein gewisses Verständnis für die ETA an, die in Teilen wohl tatsächlich glaubte, durch Terrorattentate und die Eskalation der Gewalt, den Staat an den Verhandlungstisch und zum Eingehen auf ihre Forderungen zwingen zu können.

Für die Massenbewegung in Katalonien spielt neben der wirtschaftlichen Krise die politische Frustration eine große Rolle, nicht mehr Autonomie für die Region im Rahmen der Verfassung von 1978 erreicht zu haben. Ab 2010 waren Massenproteste mit Demonstrationen von weit mehr als einer Million Menschen und eine Umorientierung der Politik die Antwort auf diese Enttäuschung. Separatistische Positionen, die zuvor nur geringe Akzeptanz erfahren hatten, gewannen an Zustimmung. Selbst die Parteien der bürgerlichen Mitte konnten sich diesem Druck nicht entziehen. „Paradoxerweise“, wie Zelik bemerkt, wurde die rechtsliberale Partei (CDC – Convergència Democràtica de Catalunya, später umbenannt in PdeCAT – Partit Demòcrata Europeu Català), die lange Jahre für Verhandlungen mit der Regierung in Madrid und die Respektierung des legalen Rahmens stand, ab 2015 unter den Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Artur Mas und dann Carles Puigdemont zum Vorkämpfer eines Bruchs mit dem Zentralstaat und einer unabhängigen katalanischen Republik (S. 212).

Wichtig für die Deutung der Unabhängigkeitsbewegungen als pro demokratisch ist für Zelik die Überwindung eines ethnischen Nationenbegriffs. Bei der ETA hieß es bereits seit Mitte der 80er Jahre, dass Baske ist, wer im Baskenland lebt und arbeitet (S. 22). Bezogen auf Katalonien wird Carles Puigdemont zitiert, der dem Spiegel im September 2017 sagte: „Der katalanische Nationalismus ist nicht ethnisch. […] Katalane ist, wer hier lebt und arbeitet – und das auch will“ (S. 178). Die Frage, wohin denn der früher deutlich vernehmbare ethnische Nationalismus nach seiner verbalen Überwindung verschwunden ist, stellt sich Zelik allerdings nicht. Es wird auch nicht weiter problematisiert, dass geschätzt etwa die Hälfte der Katalanen (nach obiger Definition) einen unabhängigen katalanischen Nationalstaat nicht befürwortet, und welches Konfliktpotenzial dies für einen katalanischen Nationalstaat bedeuten würde, wenn er denn zustande käme. Auch wird bei der Beschreibung der katalanistischen Unabhängigkeitsbewegung die Spannung zwischen bestehender Legalität des politischen Systems und der Legitimation separatistischer Bewegungen nicht ernsthaft thematisiert, genauso wenig wie die Frage, welche Schichten und Kapitalfraktionen sich etwas von einem katalanischen Nationalstaat versprechen könnten. Auch der mögliche Vorwurf des „Wohlstandschauvinismus“ wird nicht eingehender erörtert – ein Hinweis darauf, dass das Pro-Kopf-Einkommen 2016 in der Region Madrid über dem in Katalonien lag (S. 66), reicht da als Gegenargument nicht aus. Die katalanistische Unabhängigkeitsbewegung nur als Demokratiebewegung zu verstehen, greift deshalb meines Erachtens zu kurz.

Im abschließenden Kapitel 9 „Ein Ausblick“ lautet das Fazit, „dass der aufregende Protest- und Bewegungszyklus der letzten Jahre viele interessante Praxis- und Politikansätze hervorgebracht hat, die es zu untersuchen gilt, aber sein eigentliches Ziel – den Bruch des postfranquistischen Elitenpakts von 1978 mit all seinen ökonomischen und politischen Implikationen – verfehlt hat“ (S. 214). Das Zitat macht noch einmal die Perspektive deutlich, aus der diese eine politische Geschichte Spaniens ab 1978 erzählt wird – radikal, basisdemokratisch und links von der Sozialdemokratie.

Mein Fazit lautet, dass der Text erhellend ist, insbesondere wenn es um die neueren, vorwiegend linken Bewegungen in Spanien geht. Die als „postfranquistischer Elitenpakt“ eingeführte Gegenseite bleibt indes analytisch und soziologisch zu unbestimmt. Warnte Zelik angesichts der Populismusthese von Mouffe noch vor den Risiken, mit Feindbildern Politik zu machen (S. 98f), so ist sein Narrativ der politischen Entwicklung in Spanien doch selbst nicht ganz frei von linkspopulistischer Polarisierung.

Raul Zelik: Spanien ̶ Eine politische Geschichte der Gegenwart. Bertz + Fischer, Berlin 2018, ISBN: 978-3865057440