Dieter Nohlen und Mario Kölling: Spanien. Wirtschaft – Gesellschaft – Politik

Das beste und aktuellste Spanien-Vademecum, das derzeit auf Deutsch zu haben ist

Rezension von Knud Böhle | 17.08.2020

Neuauflagen werden höchst selten rezensiert. Das ist vor allem dann schade, wenn relevante Werke vollständig überarbeitet und aktualisiert wurden. Genau das ist hier der Fall, bei dem von Dieter Nohlen und Mario Kölling verfassten Studienbuch „Spanien. Wirtschaft – Gesellschaft – Politik“. Die erste Auflage war 1992 (Nohlen/Hildenbrand) erschienen, die zweite 2004 (Nohlen/Hildenbrand). Die Zuspitzung des Katalonienkonflikts, die Banken- und Wirtschaftskrise und ihre Folgen etwa für die Parteienlandschaft sowie weitere Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft haben eine grundlegende Überarbeitung nahegelegt. Die vorliegende dritte Auflage des Werks berücksichtigt insbesondere die Zeit von 2004 (Regierung Zapatero) bis 2019 (Regierung Sánchez). Der Januar 2020, als die erste Koalitionsregierung auf nationaler Ebene von PSOE und Unidas Podemos gebildet wurde, dürfte recht genau auch den Redaktionsschluss der Veröffentlichung markieren.

Das Buch will, wie es im Vorwort heißt: „[…] zuallererst über Spanien informieren. Die Entwicklungen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft werden quellennah und gestützt auf verlässliches statistisches Datenmaterial dargestellt. Vergleiche mit anderen europäischen Ländern – insbesondere mit der Bundesrepublik Deutschland – helfen, die Entwicklungen einzuschätzen“ (S. XI-XII).

Das Buch teilt sich in vier große Teile mit Kapiteln und Unterkapiteln. Teil I: Spanien im Profil weist die Kapitel Geografie, Bevölkerung, Politische Geschichte und Politische Kultur aus. Teil II: Wirtschaft ist unterteilt in Wirtschaftliche Entwicklung, Wirtschaftsstruktur, Staat und Wirtschaft, regionale Wirtschaftsstruktur sowie Weltwirtschaftliche Integration. Teil III: Gesellschaft behandelt Sozialstruktur, Bildungssystem, Arbeitsbeziehungen, Interessensgruppen, Katholische Kirche, Militär, die politische Elite und die Massenmedien. Im letzten Teil IV: Politik werden der Zentralstaat, die Autonomen Gemeinschaften, die Lokale Selbstverwaltung, Parteien und Parteiensystem, Wahlen und Volksabstimmungen, Formen politischer Partizipation und einzelne Politikfelder behandelt (Institutionenpolitik, Innenpolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gender- und Gleichstellungspolitik, Jugendpolitik, Umweltpolitik sowie Außen- und Europapolitik). Hinter der Überschrift Institutionenpolitik verbirgt sich übrigens ein Aufriss der Beziehungen zwischen Zentralstaat und Autonomen Gemeinschaften, wobei der Katalonienkonflikt breiten Raum einnimmt. Das Vorwort und das detaillierte Inhaltsverzeichnis lassen sich kostenlos im Internet einsehen.

In dieser kurzen Besprechung des ca. 550 Seiten starken Buches soll nicht auf einzelne Kapitel inhaltlich eingegangen werden. Allgemein gesprochen ist der Stil der Autoren, beide Politikwissenschaftler, wie zu erwarten, wissenschaftlich neutral. Aber das bedeutet weder „unkritisch“ noch „werturteilsfrei“. Der normative Maßstab, der der Darstellung zugrunde liegt, ist offenkundig eine Vorstellung bzw. ein Modell funktionierender Demokratie.

In dem Kapitel zur politischen Kultur in Spanien wird deutliche Kritik laut an der schon säkular zu nennenden Korruption und an der Schwierigkeit, Konsense, Kooperationen oder Koalitionen auf politischer Ebene zustande zu bringen. In diesem Zusammenhang wird auch die verbreitete Neigung zu einem dualistischen und maximalistischen politischen Denken gesehen. Durchaus kritisch (und vermutlich auch mit Bedauern) stellen die Autoren fest, dass sich der Politikstil vor allem seit der Parlamentswahl vom März 2000, die dem Partido Popular unter José María Aznar eine absolute Mehrheit bescherte, radikal geändert hat. Die Kompromiss- und Kooperationsbereitschaft der Transition, die die Nach-Franco-Zeit bis dahin noch gekennzeichnet hatte, wurde aufgekündigt und seitdem bestimmen Polarisierung, Dualismen und Maximalforderungen verstärkt die Tagesordnung (vgl. S. 66). Das ist auch insofern ein interessanter Gedanke als nicht alle Schwächen des politischen Systems und die heutigen politischen Konflikte einfach dem langen Schatten Francos oder den Mängeln der Verfassung von 1978 angelastet werden können, sondern als Folge einer bewussten Preisgabe des bereits erreichten Niveaus an demokratischer Kultur zu sehen sind.

Das Meiste an dem Buch ist gut gelungen. Es gefallen nicht nur die Vergleiche mit der Bundesrepublik Deutschland, die sogar noch verstärkt werden könnten. Gerade in den Kapiteln, die sich mit dem spanischen Autonomiestaat befassen, erleichtern die Hinweise auf die Unterschiede zwischen bundesrepublikanischem föderalen System und spanischem Autonomiestaat das Verständnis des spanischen Systems erheblich. Positiv herauszustellen ist außerdem der Vergleich der unterschiedlichen materiellen Politiken von PP- und PSOE-Regierungen. Zu schätzen sind auch die Rückblicke auf die spanische Geschichte, da wo sie nötig sind, um die gegenwärtige Situation besser zu verstehen.

Wichtig und informativ ist auch die gelegentliche Demontage eingebürgerter Klischees. So werde etwa die Bedeutung des Königs für die erfolgreiche Transition oft übertrieben und die Leistung von Adolfo Suárez unterschätzt: „Späterhin wurde irrigerweise der Beitrag des Königs Juan Carlos I in den Mittelpunkt von Erklärungen des erfolgreichen Übergangs zur Demokratie gerückt.“ In Wirklichkeit gab der König „zu Beginn der Transition eher eine in der Öffentlichkeit belächelte Figur ab“ (S. 44f). Ein anderes Beispiel ist die Unterschätzung der Bedeutung der Regionalparteien für die Politik auf Ebene des Zentralstaats. Es „werde viel zu wenig wahrgenommen, welch starken Einfluss die peripheren nacionalidades auf die nationale Politik genommen haben“ (S. 464), weil ihre Mitwirkung für die Abstützung von Regierungen der PSOE oder der PP in Ermanglung sogenannter Scharnierparteien häufig benötigt wurde.

Freilich gibt es immer etwas zu kritisieren: nicht alle Kapitel sind gleich gelungen; nicht jede Aussage muss man teilen (etwa die Einschätzung von Podemos als „linksextrem“, S. 399); manche Themen wie die Judikative oder den baskischen Konflikt wünschte man sich ausführlicher behandelt, aber man darf ja nicht vergessen, dass es sich hier um ein Lehr- Studien- und Nachschlagewerk handelt. In seiner Gesamtheit ist es unbestreitbar das beste und aktuellste Spanien-Vademecum, das derzeit auf Deutsch zu haben ist.

Dieter Nohlen, Mario Kölling: Spanien. Wirtschaft – Gesellschaft – Politik. Wiesbaden: Springer VS 2020, 3. Auflage, 548 S., ISBN: 978-3-658-27637-9 B

Krystyna Schreiber: Die Übersetzung der Unabhängigkeit

Das katalanistische Narrativ um 2015

Rezension von Knud Böhle | 04.08.2020

Die Auswahl der Interviewpartner für den vorliegenden Interviewband, ermöglicht es Krystyna Schreiber, verschiedene Facetten der katalanistischen Bewegung auszuloten. Gekonnt bringt sie ihre Interviewpartner dazu, unumwunden und unverkrampft Auskunft zu geben. Das ist möglich, weil Sympathie für den Procès auf beiden Seiten besteht. Ziel des Buches ist es dementsprechend, dass deutsche Leser die katalanistische Seite besser verstehen. Kurze Bemerkungen zu Beginn jedes Interviews zur Gesprächssituation und zum ersten Eindruck, den ein Gesprächspartner auf die Interviewerin gemacht hat, sind unterhaltsam und fördern das Verständnis. Die Fragen, die gestellt werden, sind wohl überlegt.

Der Band enthält Interviews mit Artur Mas, dem damaligen Präsidenten der Regierung der autonomen Gemeinschaft Katalonien, mit Carme Forcadell, der damaligen Präsidentin der Bürgerinitiative „Katalanische Nationalversammlung“ (ANC) und mit Muriel Casals, damals Präsidentin der zweiten großen zivilgesellschaftlichen Organisation für die Unabhängigkeit Kataloniens „Òmnium Cultural“, des Weiteren mit Amadeu Altafaj, damals Ständiger Vertreter der Regierung Kataloniens bei der Europäischen Union sowie mit Santiago Vidal zur Zeit des Interviews 2015 noch Richter am Gerichtshof der Provinz Barcelona und Mitverfasser eines Entwurfs für eine Verfassung Kataloniens. Dazu kommt noch ein Gespräch mit Elisenda Paluzie, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Barcelona – und seit März 2018 auch Präsidentin des ANC.

Kondensiert man den Diskurs der Katalanisten, lautet das Ergebnis etwa so: Katalonien hat eine tausendjährige Kultur. Seit 300 Jahren, dem Ende des Spanischen Erbfolgekriegs, ist die katalanische Nation in den spanischen Staat zwangsweise integriert. Auch nach dem Ende des Franquismus und der Verfassung von 1978 hat der „bösartige“ (p. 29) Zentralstaat nicht aufgehört, Katalonien zu diskriminieren. Mit dem Kassieren wichtiger Bestimmungen des Autonomiestatuts von 2006 durch das Verfassungsgericht wurde ein Tipping-Point erreicht, mit der Folge einer immer stärker werdenden zivilgesellschaftlichen Bewegung und einem Strategiewandel der Regierungsparteien in Katalonien. Ein Referendum über den künftigen politischen Status Kataloniens abzuhalten mit der Option, einen eigenständigen Staat zu gründen, war damals (2015) die zentrale Forderung. In dem Narrativ ist kein Platz mehr für einen ethnischen Katalanismus, der inzwischen als überholt angesehen wird. Die Frage der Sprache(n) in einem katalanischen Nationalstaat wird unterschiedlich gesehen. Ob Artur Mas, der Katalonien auf einem guten Weg zu einem komplett zweisprachiges Land sah (p. 88), das heute noch so sagen würde, sei dahingestellt. Allenfalls in Bezug auf Tugenden wie Pünktlichkeit und Sparsamkeit oder die besondere Friedfertigkeit der Katalanen, wird der Nationalcharakter noch herangezogen.

Außer den katalanischen Persönlichkeiten wurden auch deutschsprachige Wissenschaftler befragt, namentlich Kai-Olaf Lang (Berlin), Nico Krisch (Genf), Tilbert Didac Stegmann (Frankfurt a.M.), Klaus-Jürgen Nagel (Barcelona), des Weiteren Bernhard von Grünberg, bis 2017 SPD-Abgeordneter des Landtages NRW, und schließlich der lettische Schriftsteller und Journalist Otto Ozols.

Von den Nicht-Katalanen ist das Interview mit Kai-Olaf Lang, der die Beziehungen Kataloniens zum Zentralstaat und zur EU nüchtern einschätzt, sehr informativ und auch der Beitrag des Völkerrechtlers Nico Krisch der die staats- und völkerrechtlichen Möglichkeiten für mehr Unabhängigkeit Kataloniens auslotet. Seine Anregung, die UN-Deklaration zu den Rechten indigener Völker auf Volksgruppen wie die Katalanen und Basken anzuwenden, und ihnen darüber Autonomierechte zu verschaffen, erscheint mir indes für ein Katalonien, dessen Bewohner überwiegend einen Migrationshintergrund haben und eine Bewegung, die um keinen Preis mehr ethnisch definiert sein möchte und einen eigenen Staat anstrebt, etwas unpassend. In anderen Gesprächen mit nicht-katalanischen Experten kommt es vereinzelt zu Aussagen, die schwer nachzuvollziehen sind. So meint der Gesprächspartner aus Lettland, „In Lettland gibt es immer noch lettische und russische Schulen. In diesem Sinne sind die Katalanen für uns ein Vorbild. Bildung in einer einzigen Sprache ist der beste Weg, damit eine Gesellschaft gegenseitiges Verständnis lernt“ (p. 257). Auf andere Weise erscheint die Einschätzung des befragten Romanisten etwas verstiegen, der sagt, dass er „keinen ernst zu nehmenden katalanischen Künstler, Akademiker, Intellektuellen, Sprachwissenschaftler oder Wirtschaftsfachmann mehr kenne, der die Unabhängigkeit Kataloniens nicht für dringend notwendig hielte“ (p. 184). Eduardo Mendoza, um nur ein wichtiges Gegenbeispiel zu nennen, wäre demnach kein Katalane, oder er wäre nicht ernst zu nehmen. Unter dem Strich sind aber auch die Interviews mit den Nicht-Katalanen aufschlussreich.

Wünschenswert wäre ein ähnlicher Interviewband – nicht mit der Gegenseite der spanischen Nationalisten ­ –, sondern mit denen, die den Glauben an einen dritten, integrativen Weg noch nicht aufgegeben haben.

Krystyna Schreiber: Die Übersetzung der Unabhängigkeit. Wie die Katalanen es erklären, wie wir es verstehen. Interviews mit führenden Persönlichkeiten und Experten über Kataloniens Anliegen. Dresden: Hille Druckerei und Verlag 2015; ISBN 9783939025603

Martin Dahms: Spanien – ein Länderporträt

Spanien nicht nur für Anfänger

Rezension von Knud Böhle | 17.07.2019 (durchgesehen 02.08.2020)

Martin Dahms, Spanienkorrespondent einer Reihe deutschsprachiger Zeitungen, legte im Dezember 2018 die aktualisierte Neuauflage von „Spanien – ein Länderporträt“ vor, dessen Erstauflage 2011 erschienen war. Ein Buch dieser Art – weder Reiseführer noch politische Landeskunde – sollte Anfängern einen gut lesbaren Einstieg bieten, aber auch denen, die die Berichterstattung über Spanien regelmäßig verfolgen, noch neue Einsichten vermitteln. Um das zu erreichen, kombiniert Dahms verschiedene Zugänge und stilistische Mittel.

Zum einen greift er gängige Spanien-Topoi auf und hinterfragt sie. Was ist dran an Flamenco, Siesta, Stierkampf, spanischer Küche und den für typisch gehaltenen Sitten und Gebräuchen? Häufig werden die persönlichen Eindrücke durch Anekdotisches unterstützt. Zum anderen gelingt es Dahms, sowohl die neuere Geschichte als auch aktuelle soziale und politische Fragen in journalistischer Tonlage abzuhandeln. Dabei bringt er seine persönliche Meinung klar zum Ausdruck und spart nicht mit kritischen Einschätzungen. Für ihn steht z.B. außer Frage, dass die Franco-Diktatur bis 1959 nicht bloß eine autoritäre Herrschaftsform darstellte, sondern ein „terroristischer Staat“ war.

Die Beobachtung, dass den Spaniern weder in kleinem Kreis noch im politisch-öffentlichen Raum viel an einer produktiven Streitkultur gelegen sei, und sie nicht gut darin seien, Konsens zu erzielen, erscheint zunächst provokant. Mit Blick auf den Umgang der Parteien miteinander, etwa bei der Regierungsbildung, oder mit Blick auf die mangelnde Dialogbereitschaft im Katalonienkonflikt, kann man dieser These jedoch eine gewisse Plausibilität nicht absprechen. Es spricht übrigens auch für dieses Länderporträt Spaniens, dass dieser Konflikt nicht ausgespart wird. Für Dahms geht es dabei im Kern nicht um Fragen des Völkerrechts, sondern um einen Konflikt zwischen zwei konkurrierenden politischen Ideologien, dem spanischen und dem katalanischen Nationalismus.

Ein weiteres inhaltliches und stilistisches Element ist die Vermittlung bestimmter Problemlagen über ihre Personalisierung. So erzählt uns Dahms von Emilio Silva, der seinen Großvater, ein Opfer der Franco-Diktatur, im Jahr 2000 exhumieren ließ. Wie viele andere auch, war auch dieser nach seiner Ermordung einfach in einem Massengrab verscharrt worden. Silva sollte dann alsbald mit anderen den „Verein zur Wiedererlangung des Historischen Gedächtnisses“ (ARMH = Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica“) gründen und entscheidend dazu beitragen, den „Pakt des Schweigens“ zu unterlaufen, und den Konsens in Frage zu stellen, nachdem der Übergang von der Diktatur zur Demokratie (die „transición“) als abgeschlossene Erfolgsgeschichte zu betrachten sei.

Die zweite Persönlichkeit, die Dahms besonders herausstellt, ist der Richter Baltasar Garzón, der international vor allem wegen seines Haftbefehls gegen Augusto Pinochet bekannt geworden war, in Spanien aber an vielen juristischen Fronten kämpfte: der Bekämpfung der Korruption, der Aufklärung der GAL-Affäre (staatlich zumindest tolerierte geheime Antiterrorkommandos gegen die ETA), der effektiven Bekämpfung des ETA-Umfelds und schließlich der Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen während der Franco-Diktatur – bis die spanische Justiz ihn deshalb zu Fall brachte. Das wirkliche Opfer des Garzón-Prozesses, daran lässt Dahms keinen Zweifel, war der spanische Rechtsstaat.

Ein vierter Baustein des Länderporträts sind gewissermaßen Antworten auf implizite Fragen vom Typ „Wie ist das denn bei den Spaniern?“ „Was ist ähnlich, was ist ganz anders als in Deutschland?“. Angesprochen werden u.a. die Aufnahme von Flüchtlingen und die Zuwanderung, das Erziehungswesen, die Innovations- und Unternehmenskultur, der Stand bei den erneuerbaren Energien, die durch den Klimawandel sich verschärfende Frage der Verteilung der Wasserressourcen zwischen Nord und Süd, die politische Teilhabe der Regionen, die Krise der Monarchie, die politische Rolle der Kirche. Eine gute Orientierung bieten auch die Seiten zu der sich verändernden Medienlandschaft, die neben der Zeitungskrise auch durch Boulevardisierung und Krawallisierung gekennzeichnet ist. Auf seriöse Online-Zeitungen im Internet als Alternative wird hingewiesen.

Vielleicht muss sich der Autor von manchen die Frage gefallen lassen, wo denn das Positive bleibe. Dem beugt Dahms zwar schon in der Einleitung vor mit der Erklärung, dass er nur aus seinem persönlichen Blickwinkel schreibe und keine Liebesgeschichte schreiben wolle. Dabei kommt vielleicht die in Spanien durchaus beobachtbare, beeindruckende Veränderungskraft und Kreativität kollektiver Anstrengungen etwas zu kurz. Die Comisiones Obreras, jener sich während der Franco-Diktatur herausbildende Typ der Arbeitervertretung, deren Bedeutung für die Demokratisierung Spaniens durchaus mit der der Solidarność für Polen verglichen werden kann, wird gar nicht erwähnt. Auch die nach dem Platzen der Immobilienblase entstandene spanische Bewegung gegen Zwangsräumungen und für Hypotheken-Opfer sowie die Entstehung zweier neuer Parteien (Podemos und Ciudadanos) als Antwort auf die Krise und die Korruption der beiden Altparteien PSOE (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) und PP (Spanische Volkspartei), wird nur am Rande behandelt.

Abschließend sei eine Bemerkung von Dahms aufgegriffen, der in Andrés Trapiello einen wichtigen spanischen, in Deutschland noch zu entdeckenden Schriftsteller sieht. Dem ist unbedingt zuzustimmen. Daran anschliessend läßt sich sagen, dass ein Länderportrait durchaus gewinnen kann, wenn auf Literatur (in Übersetzung) aufmerksam gemacht wird, die gesellschaftliche Verhältnisse und Problemlagen anschaulich macht. Für Spanien leisten das etwa, um nur zwei Beispiele zu nennen, der Roman „Patria“ von Fernando Aramburu, der uns den Konflikt im Baskenland anhand zweier verwobener Familiengeschichten nahebringt, oder „Am Ufer“ von Rafael Chirbes, der uns die fatalen Folgen der geplatzten Immobilienblase am Beispiel eines kleinen Handwerksunternehmens drastisch vor Augen führt.

Kurzum: Ein Länderportrait wird nie allen Wünschen genügen können, aber Dahms ist es erstaunlich gut gelungen, ein Buch über Spanien für Anfänger und bereits gut Informierte (hier in der zweiten Auflage) vorzulegen.

Martin Dahms: Spanien – ein Länderporträt. Berlin 2018: Ch. Links Verlag, 2., aktualisierte Auflage. ISBN 978-3-96289-048-3