Aroa Moreno Durán: Die Tochter des Kommunisten

Faktisches und Erdachtes in der Exil-Geschichte vom spanischen Kommunisten in der DDR und seiner Tochter

Rezension von Knud Böhle

1. Einleitung

Ein in der deutschen Öffentlichkeit wenig präsentes Kapitel Deutsch-Spanischer Geschichte bildet den Aufhänger des erfolgreichen, preisgekrönten Romanerstlings, der 1981 in Madrid geborenen Schriftstellerin Aroa Moreno Durán: das Exil republikanischer, insbesondere kommunistischer Bürgerkriegsflücht­linge in der DDR. In Spanien erschien der Roman, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde, bereits 2017. Auf Deutsch ist er in der vorzüglichen Übersetzung von Marianne Gareis im Jahr 2022 erschienen.

Diese Buchbesprechung geht über den üblichen Rahmen einer Rezension hinaus, insofern gefragt wird, wie historische Fakten und Erdachtes im Roman ineinandergreifen und inwieweit der Roman selbst etwas beiträgt zum besseren Verständnis der Lebensbedingungen und Prägungen der spanischen Emigranten und ihrer Kinder. Da es inzwischen einen beachtlichen Stand an historischem Wissen zu den spanischen Asylsuchenden gibt, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der SBZ und dann in der DDR im Exil lebten (vgl. zur Literatur Abschnitt 7), kann eine Antwort auf diese Fragen versucht werden. Da die Autorin selbst in mehreren Interviews ihre intensive Recherchearbeit betont hat (vgl. Strode 2018; Alvite 2019; Whittemore 2021), ist bei ihr von einem reflektierten Umgang mit der Zeitgeschichte auszugehen. Bevor es um diese Fragestellung gehen kann, sind Inhalt und Struktur des Buches sowie das historische Wissen über das Exil in der DDR zu skizzieren.

2. Ein erster Überblick

Der Roman erzählt eine doppelte Exil-Geschichte: einer kleinen Zahl spanischer Republikaner, die meisten davon Kommunisten, die nach dem Bürgerkrieg (1936-1939) fliehen mussten und nicht nach Franco-Spanien zurückkehren konnten, wurde in der DDR Asyl gewährt (für viele das zweite oder dritte Exil). Im Roman holt einer jener Kommunisten seine Frau aus Spanien nach und gründet kurz nach der Gründung der DDR in Ostberlin eine Familie. Zur Familie gehören zwei Töchter, Katia und Martina. Die erste wird 1950, die zweite 1953 geboren. Beide wachsen in der DDR auf. Katia, die im Mittelpunkt der Erzählung steht, verlässt 1971 ihre Heimat ‒ «Republikflucht» in der Terminologie der DDR. Sie lässt ihr Land, Berlin, Fa­milie und Freunde zurück, um mit einem jungen Mann aus Backnang (bei Stuttgart) ein neues Le­ben zu beginnen. Damit beginnt die zweite Exil-Geschichte, diesmal als Ost-West-Geschichte. Westdeutschland wird Katia nicht zur neuen Heimat, sondern im Gegenteil zunehmend als Fremde und ungeliebtes Exil erlebt. Mit der Zeit führt das in eine Depres­sion. Land und Leute werden immer stärker abgelehnt und die verlorene Heimat wird im Gegenzug nostalgisch erinnert. Dazu kommt, dass ihre sich als heillos erweisende Entscheidung nicht nur für sie, sondern auch für ihre Familie in der DDR verheerende Folgen hatte. Das muss sie erkennen als sie 1991, also nach der Wiedervereinigung, ihre Familie in Berlin aufsucht. Sie steht vor einem Scherbenhaufen. Was darauf folgt, bleibt offen, ein Neuanfang scheint nicht ganz ausge­schlossen.

Drei für Romane nicht untypische Fragenkomplexe spielen in dieser Erzählung eine gewisse Rolle: die ungewollten und unvorhersehbaren Folgen irreversibler Entscheidungen, die Verzahnung von großer Geschichte (spanischer Bürgerkrieg, Eiserner Vorhang, Kalter Krieg, Mauerbau, Wiederver­einigung) mit den Lebensläufen des Romanpersonals sowie der Komplex von Herkunft, Heimat, Fremde, Integration und Identität.

Das Buch besteht aus vier Teilen und einem kurzen nicht betitelten Vorspann. Die Überschriften lauten: Der Osten (Zeitraum 1956 – 1971), Niemandsland (1971), Drüben (1972 – 1990), Vaterland (1992). Die Teile sind weiter unterteilt in kurze Abschnitte jeweils versehen mit einer Überschrift, einer Ortsangabe und einer Jahreszahl.

Die Zeit von 1956 bis 1990 wird von Katia als Ich-Erzählerin dargeboten. Von der Art her wirkt es wie ein Aufschreiben der Erinnerungen zum Zweck der Selbstvergewisserung. Die Aufzeichnung richtet sich vom Gestus her folglich nicht an ein anonymes Publikum, sondern ist für sie selbst, und vielleicht noch für eine vertraute oder vertrauenswürdige Person, bestimmt. Das Ich erinnert, was die Erinnerungsübung hergibt, und das muss bekanntlich weder vollständig noch verlässlich sein. Die Ich-Er­zählerin reflektiert die Selektivität persönlicher Erinnerungen: «Zwischen Gefühl und Erinnern besteht eine elektronische Spannung […]. Je stärker das Gefühl, desto leichter bleibt ein Ereignis in Erinnerung. Das Gefühl ist der Filter…» (S. 50).

In dem erwähnten zweiseitigen Vorspann und im letzten Teil des Romans, Vaterland, ist es nicht die Ich-Erzählerin, sondern eine distanziertere Erzählstimme, die das Wort hat. Genauer: Es wird von Katias Handeln, Denken und Fühlen berichtet so als beobachte sie sich selbst von außen. Das könnte so interpretiert werden, dass die Autorin damit zeigen will, dass die Protagonistin am Ende der Geschichte zur Selbstdistanzierung in der Lage ist. Dem Romanende folgt eine Seite mit nur einem ein­zelnen Satz:

Mehr als dreißig Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer existieren auf der Welt immer noch mehr als fünfzehn Mauern, mit denen auf gewaltsame Weise versucht wird, die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken. (S. 173)

Auf Seite 175 findet sich eine Dank überschriebene Passage, die an erster Stelle Mercedes Álvarez und Núria Quevedo gilt. Dieser Hinweis ist aufschlussreich, da es sich bei diesen beiden Frauen um in der DDR groß gewordene Töchter namhafter spa­nischer Kommunisten (Ángel Álvarez Fernández und José Quevedo) handelt. In einem langen Gespräch, das als Buch publiziert wurde, hatten die beiden Frauen schon im Jahr 2004 über ihr Leben und das ihrer jeweiligen Eltern Auskunft gegeben (Álva­rez und Quevedo 2004). Auch die Wissenschaft hat sich für sie als Interviewpartner interessiert (Drescher 2008, Denoyer 2011). Ohne die Begegnung mit diesen «Töchtern von Kommunisten» hätte es den vorliegenden Roman von Aroa Moreno Durán nicht gegeben.

3. Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen im Roman

Die Hauptperson und Ich-Erzählerin, Katia, wird in Ostberlin am 21. Februar 1950 geboren (S. 50 und S. 103). Die Erinnerung an die Geschehnisse von 1956 bis 1991 erfolgt weitgehend chronologisch. Nur hier und da fließen Informationen aus anderen Zeiten, von anderen Orten und über andere Personen ein.

Katias Eltern sind Spanier, die in Ostberlin in beengten Verhältnissen im Exil leben. Katia hat eine drei Jahre jüngere Schwester, Martina. Ihr Vater, Manuel, ist überzeugter, moskautreuer Kommu­nist, der der DDR dankbar für das gewährte Asyl ist. Vom Vater wird, was seine politische Haltung angeht, erinnert, dass er sich sehr aufregen konnte, wenn es um die deutsche Ostpolitik ging, die er ablehnte. Besonders echauffiert er sich als Willy Brandt 1970 den Friedensnobelpreis erhält. «Glaub mir, Isabel, das ist der Todesstoß für alles, an das wir glauben. Der Todesstoß, Isabel» (S. 60).

Isabel, der Mutter, liegt wenig an der Partei und Politik. Sie bringt ihren Kindern das Beten und das «mea cul­pa» bei (vgl. S. 56). Sie weigert sich Deutsch zu lernen, ist schlecht integriert, leidet viel und erlebt das Exil als Fremde. Auf Details zur Geschichte der Eltern, besonders des Vaters, wird später im ge­schichtlichen Kontext noch näher eingegangen.

Erfahrungen mit Kontrolle und Überwachung in der DDR und einer Atmosphäre, in der jedes Wort bedacht werden muss, weil eine latente Gefahr der Denunziation besteht, sind sehr präsent in den Erinnerungen Katias. Mit Vorbedacht werden in dem Roman auch Spuren gelegt, die sich dann später in Verbindung mit der Tätigkeit des Vaters als Informeller Mitarbeiter (IM) der Stasi bringen lassen. Zu einem Treffen der Familie mit DDR-kritischen Exilspaniern in Leipzig erinnert Katia: «Es war Papá der sagte, es reicht, Leute, wir müssen dieser Republik dankbar sein. Wir haben sie nie wiedergesehen» (S. 21). Ein weiteres Beispiel: Nach einer Begegnung in Begleitung ihres Vaters mit einem eigenwilligen spa­nischen Exilanten, der als Dozent an der Humboldt Universität lehrte, muss sie feststellen, dass die­ser schon wenig später nicht mehr an der Humboldt-Uni unterrichtete (S. 75).

Das Klima der Überwachung ist greifbar. Durchaus subtil wird auf die DDR als Überwachungsstaat auch in einer Szene hingewiesen, in der Katia im Unterricht unter der Bank in dem berühmten Roman von Anna Seghers «Das siebte Kreuz» liest. Als der Dozent sie darauf anspricht, was sie denn da lese, ist sie gerade an folgender Stelle des Romans:

Die Angst, die mit dem Gewissen nichts zu tun hat, die Angst der Armen, die Angst des Huhnes vor dem Geier, die Angst vor der Verfolgung des Staates. Diese uralte Angst, die besser angibt, wessen der Staat ist, als die Verfassungen und Geschichtsbücher (S. 46).

Ungeachtet dieser Wahrnehmung von Kontrolle und Überwachung, ist ihr zentraler Bezugspunkt ‒ vor dem Mauerbau und auch noch danach ‒ die kleine Familie, mit offenbar wenig Außenkontak­ten, weder zu Spaniern noch zu Deutschen. Die Familie ist ihr Heim. Ende der sechziger Jahre, An­fang der siebziger Jahre findet eine Öffnung statt. Katia hat zu studieren begonnen und hilft auch bei der Vorbereitung der Weltfestspiele der Jugend und Studenten mit. In diesem Kontext findet sie zudem eine gute Freundin, Julia, eine Kubanerin. Katia scheint auf einem guten Weg, sich in die DDR-Gesellschaft zu integrieren.

Im November 1969 taucht dann ein Student aus Westdeutschland in Ostberlin auf, Johannes aus Backnang, der sich für sie interessiert und sich auch in den nächsten zwei Jahren um sie bemüht. 1971 lässt Katia dann Familie, Studium und Freundin zurück und «macht rüber». Genauer: Bezahlte Fluchthelfer (finanziert von den Eltern Johan­nes‘) ermöglichen ihre Flucht über die Tschechoslowakei und Österreich in die Bundesrepublik.

Katia tut sich mit der neuen Umgebung schwer, die zunehmend als feindliche Fremde empfunden wird. Gewissensbisse kommen dazu. Als sie um 1980 in einem Telefonat die Nachricht vom Tod ihres Vaters erhält, steigert sich ihr Leid noch weiter. Sie bereut ihre irreversible Entscheidung. Trotz schwäbischer Normerfüllung (Heirat, Haus, zwei Kinder, zwei Autos), entfernt sie sich zuneh­mend innerlich von dieser Umgebung, zieht sich mehr und mehr zurück, wird depressiv und initiativlos. Sie entwickelt eine starke Abneigung nicht nur gegen die bundesrepublikanische Gesell­schaft, sondern auch gegen Johannes, ihren Partner und Vater ihrer Kinder. Die DDR wird zuneh­mend nostalgisch als verlorene Heimat empfunden. Am 4. Oktober 1990 kommt es, gut von der Autorin gewählt, einen Tag nach dem Tag der Deutschen Einheit zur Scheidung (S. 148).

Integration und Identitätsfindung sind gescheitert. Katia ist psychisch krank. Nur auf der Folie ihrer misslungenen Identitätsbildung, ihrer Schuldgefühle und Depression erscheinen die Schuldzuschrei­bungen an ihr persönliches Umfeld und die Gesellschaft der Bundesrepublik dem Rezensenten stimmig. Für ihre Hei­matlosigkeit und Depression findet die Ich-Erzählerin eindrückliche sprachliche Verdichtungen. Dazu einige Beispiele:

«Wenn der Krieg kalt war, dann war ich eisig» (S. 125).

Zur Nachricht vom Tode ihres Vaters schreibt sie « … diese Information, die mich wie ein schwerer Stein in einen dicken Morast hineinzog, in einen Kopf, der für immer wirr war, düster und schwarz» (S. 131).

Zum lustlosen Akt mit dem inzwischen ungeliebten Gatten wird erinnert: «Zwei Körper im Wider­streit. Johannes packte mich kraftvoll. Wir umarmten uns einige Minuten lang. Und dann ging alles ganz langsam. Zu langsam» (S. 133).

Zu Liebesverlust und Entfremdung von Johannes heißt es «[…] dass ich tief in meinem Inneren ei­nen Groll gegen Johannes hegte, weil er mich aus allem herausgerissen hatte, was mein Leben ge­wesen war» (S. 144).

Knapp und zugespitzt formuliert Katia ihre Desillusionierung: «Johannes, ich gebe alles für dich auf, Johannes, du hast mir alles genommen, Johannes, es gibt keine Grenzen, Johannes, Mauer» (S. 149).

Bei der Scheidung geht ihr (nostalgisch-pathetisch) durch den Kopf: «Ich war Kind eines antifa­schistischen Landes, eines Landes, das an die Befreiung glaubte, eines unter Druck gesetzten und verarmten, eines bäuerlichen und sicheren Landes, und irgendwie musste ich mich auflehnen und dieses andere Land verlassen» (S. 150). Es ist ihr bewusst, dass es sich um eine «wirre Gedankenkette» handelt, zumal es zu dem Zeitpunkt das eine Land, die DDR, schon nicht mehr gibt.

Nach dem Mauerfall 1989 dauert es noch zwei Jahre bis sie ihre Mutter und Schwester auf­sucht. 1991 kommt es zum Finale in Berlin: Wir erfahren, was seit Katias Weggang vor 20 Jahren alles passiert ist, wovon sie nichts wusste. Ihre Mutter hat ihren Weggang nie verkraftet und däm­mert jetzt im Rollstuhl dahin, betreut von Martina. Ihr Vater wurde offenbar kurz nach und wegen ihrer Flucht verhaftet und starb nach langer Haft (nicht vor 1981 jedenfalls) als verzweifelter lini­entreuer Kommunist in einem Gefängnis der DDR. Stasi-Akten über ihren Vater belegen, dass die­ser seit 1962 als Informeller Mitarbeiter der Stasi andere Exilspanier bespitzelte.

Die Geschichte endet im Jahr 1991. Das letzte Wort des Romans ist Pojechali. Dieses russische Wort war bereits einmal vorgekommen als Katia die DDR verließ: «Pojechali, sagte ich mir, los geht‘s. Wie der Kosmonaut Juri Gagarin an Bord der Wostok I ging ich fort, ohne zu wissen, dass ich, wie er, Gott auch nicht finden würde dort drüben» (S. 86). Wofür dieses Wort des Aufbruchs am Ende des Romans steht, ist nicht sicher: vielleicht für einen Neuanfang. Nimmt man den ersten Satz des Romanvorspanns dazu, «Ka­tia Ziegler nimmt die Kappe des Füllfederhalters ab, mit dem sie alle wichtigen Dokumente ihres Lebens unterschrieben hat» (S. 9), dann könnte das bedeuten, dass der erste Schritt des Neuanfangs im Aufschreiben ihrer Erinnerungen liegt.

Nachdem der Gang der Handlung soweit bekannt ist, soll als Nächstes der Stand der Geschichtswissenschaft zum Thema der spanischen Bürgerkriegsflüchtlinge in der DDR kurz vorgestellt werden.

4. Spanische Bürgerkriegsflüchtlinge in der DDR – ein Destillat

Erst kurz nach der Jahrtausendwende setzte die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema ein (Heine 2001). Es folgte eine beachtliche Zahl an akademischen Arbeiten. Bereits 2012 ist ein Stand der Forschung erreicht, der ein Gesamtbild von den Exilspaniern in der DDR erlaubt. Die Schwerpunkte und Fragestellungen der Arbeiten sind unterschiedlich, wie es auch in Detailfragen Unterschiede gibt. Dennoch kann von einem Gesamtbild ausgegangen werden, das allgemein geteilt wird.

Es ist zunächst wichtig, zwei Gruppen von Exilspaniern im Zeitraum 1945-1956 zu unterscheiden: Die erste Gruppe bilden die Spanier, die sich nach dem Ende der Naziherrschaft 1945 in der SBZ und dem Ostsektor Berlins befanden, die fast alle «im Spanischen Bürgerkrieg Soldaten der Repu­blik» gewesen waren (Uhl 2004, S. 235). Dazu gehörten typischerweise auch die Spanier, die aus ihrem Exil in Frankreich zur Zwangsarbeit nach Deutschland verbracht wurden und in der Regel für die Rüstungsindustrie hatten arbeiten müssen (zu den Zwangsarbeitern in den KZ-Außenlagern vgl. Meerwald 2022 und die Rezension dazu im Spanienecho). Diesem Personenkreis gestattete die So­wjetunion nach der Einnahme Berlins, zurück nach Frankreich oder in die Sowjetunion zu gehen oder eben in Berlin zu bleiben (Alted Vigil 2002, S. 143). Dieser Personenkreis wäre um weitere Elemente zu erweitern, etwa freiwillige Vertragsarbeiter aus Franco-Spanien oder pro-franquistische Spanier auf deutschem Boden. Die Schätzungen der Gruppengröße liegen bei 40-50 Personen (Ei­roa 2018, S. 145) bzw. einigen Dutzend (Kreienbrink 2005, S. 319).

Der Kern dieser Gruppe, der sich als republikanisch und kommunistisch verstand, formierte sich ab 1947 im Ausschuss der Spanisch-Republikanischen Emigration/Opfer des Faschismus, kurz ERE (Emigración Republicana Española) (Uhl 2004, S. 236). Nach Angaben dieser Organisation im Jahr 1948 zählte sie etwa 35 Personen (Kreienbrink 2005, S. 319). Die Leitung der Organisation lag zu­nächst bei José Quevedo. Der ERE wurde allerdings die Anerkennung seitens der SED und der spa­nischen KP verwehrt. Dolores Ibárruri, damals Generalsekretärin der KP Spaniens, ließ wis­sen, wie es in einem oft zitierten Brief an Wilhelm Pieck (Vorsitzender der SED) vom 9.9.1947 heißt: «[…] Sogar solche, die in Konzentrationslagern waren und nicht nach Frankreich mit allen anderen gefahren sind, muss man mit Vorsicht behandeln. Jedenfalls, wir können keinen einzigen unter ihnen garantieren. Deswegen möchten wir Euch bitten, solche Spanier nicht zu benutzen, da sie politisch überhaupt nicht zuverlässig sind» (zitiert hier nach Poutrous 2004, S. 364). Die ERE wurde dann 1949 aufgelöst. Es wurde den Mitgliedern dieser Gruppe danach verwehrt, in die PCE (Partido Comunista de España) oder die SED einzutreten, aber es wurde auch kein Mitglied dieser Gruppe aus der DDR ausgewiesen (Drescher 2008, S. 36).

Die zweite Gruppe spanischer Bürgerkriegsflüchtlinge kam 1950 in die DDR als Folge der vom französischen Staat im September 1950 angeordneten Polizeiaktion namens «Opération Boléro-Paprika», die gegen Mitglieder ausländischer kommunistischer Parteien, vor allem der spanischen KP gerichtet war. 292 Personen aus zwölf Nationen wurden festgesetzt, darunter 251 Spanier. Im Kalten Krieg wur­den die spanischen Kommunisten nicht mehr als antifranquistische Opposition geschätzt, sondern als stalinistische fünfte Kolonne betrachtet. «Schlussendlich wurden infolge der ‚Operation Bolero-Paprika‘ 176 Spanier verhaftet und die Mehrheit in Korsika oder Algerien unter Hausarrest gestellt. 33 von ihnen wurden jedoch vom Innenministerium über Straßburg sofort in die DDR ausgewiesen. Einige Monate später erfolgte die Familienzusammenführung in Dresden» (Denoyer 2011, S. 98). Die Operation Bolero-Paprika ist mehrfach beschrieben worden (Heine 2001, Poutrous 2004, Uhl 2004, Kreienbrink 2005, Drescher 2008; besonders ausführlich in Denoyer 2017, S. 29-100; Eiroa 2018 befasst sich mit dem Exil spanischer Kommunisten in der DDR und in den anderen sozialisti­schen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang).

Im Mai 1951 wurden für das Kollektiv (ein Ausdruck, den sowohl PCE als auch SED verwendeten) in Dresden 85 Personen nachgewiesen: 31 Männer, 21 Frauen, 33 Kinder/Jugendliche. Diese Spanier wurden grob gesprochen gut in der DDR behandelt, bekamen Arbeit und Wohnung und wurden als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Die vergleichsweise gute Behandlung dieser kommunisti­schen Exilanten ist auch mit Blick auf die Legitimation der DDR und ihren Gründungsmythos als antifaschistischer Staat zu sehen. Der Kampf deutscher Kommunisten in den internationalen Briga­den und die bemerkenswerten Karrieren ehemaliger deutscher Spanienkämpfer in der Politik der DDR und nun die Aufnahme der aus Frankreich ausgewiesenen ehemaligen Waffenbrüder in der DDR, gehören in dasselbe Narrativ (ausführlich dazu Uhl 2004). Denoyer spricht in diesem Zusam­menhang davon, dass die «Spanier von der DDR-Führung teils in erheblichem Maße instrumentali­siert [wurden], um aus ihrer Präsenz eine gewisse Legitimation sowie einen Prestigegewinn sowohl auf internationaler Ebene als auch gegenüber der eigenen Bevölkerung ableiten zu können» (Denoyer 2011, S. 102).

Gleichwohl wurden auch diese ExilspanierInnen überwacht und kontrolliert, von der KP Spaniens, der SED und je nachdem wurde auch noch das Ministerium für Staatssicher­heit eingeschaltet. Nicht zu vergessen ist dabei, dass die Mitglieder des Dresdner Kollektivs auch «von ihren eigenen Leuten streng überwacht» wurden (Uhl 2004, S. 243). In Dresden bestand das größte Kollektiv kommunistischer Exilspanier. Daneben gab es aber auch ein kleineres Kollektiv in Ber­lin (Chmielorz 2016). 1960 wurde ein drittes Kollektiv in Leipzig gegründet (Denoyer und Fa­raldo 2011, S. 194), das hier weniger interessiert, weil es dort nicht mehr um Bürgerkriegsflüchtlin­ge geht, sondern vor allem um Studenten, «die in Spanien aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen hatten» (Kreienbrink 2005, S. 324).

Bis 1968 kann von einer engen Zusammenarbeit von PCE und SED gesprochen werden. Nach dem Prager Frühling und dem Einmarsch des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei verschlech­tern sich die Beziehungen zwischen der inzwischen eurokommunistischen PCE und der moskau­treuen SED (vgl. dazu Denoyer und Faraldo 2011, S. 190-197). Dieser Konflikt führte innerhalb der PCE zu Spannungen, Parteiausschlüssen und Neugründungen. Er spaltete auch die Kollektive der Exilspanier in Dresden und Berlin, wobei die meisten Mitglieder weiterhin die prosowjetische Li­nie vertraten und die offizielle Parteilinie Santiago Carrillos verurteilen. Diese Auseinandersetzung erschwerte das Zusammenleben in den Kollektiven (Denoyer und Faraldo 2011, S. 194 f.). Die eine Seite redete nicht mehr mit der anderen und man ging sich aus dem Weg (Drescher 2008, S. 63-68 und für das Berliner Kollektiv Chmielorz 2016). Das MfS kontrollierte und beobachtete die Mitglieder der Kollektive auch mit Hilfe spanischer Informeller Mitarbeiter (Denoyer und Faral­do 2011, S. 96). «Die endgültige Distanzierung zwischen der SED und der PCE erfolgte im Jahr 1973, als die Regierung der DDR mit dem franquistischen Spanien diplomatische Beziehungen auf­nahm» (Denoyer und Faraldo 2011, S. 197).

5. Geschichte im Roman und Geschichtswissenschaft

5.1 Was wir üben den Vater erfahren

Besonders viel weiß Katia nicht über ihren Vater: «Papá erzählte uns nichts, weil auch niemand fragte» (S. 105). Ein paar Eckdaten zur Familiengeschichte liefert die Mutter anlässlich des 18. Ge­burtstags ihrer Tochter (im Buch S. 102-105). 1936 ging der Vater im Spanischen Bürgerkrieg als Freiwilliger in die Berge, um für die Zweite Spanische Republik und gegen die Aufständischen zu kämpfen. Im Sommer 1937 taucht er für drei Tage wieder im Dorf auf; es wird geheiratet. «In unserer Familiengeschichte folgt dann, dass mein Vater 1938 Spanien verließ und nach Moskau ging». Dort wurde er «ein kleiner Provinzkommissar» (was immer das sein mag, KB). 1946 verlässt er die UdSSR und zieht in die SBZ nach Dresden und beginnt dort Deutsch zu lernen. Katias Mutter folgt 1946, das franquistische Spanien unter abenteuerlichen Bedingungen hinter sich lassend, ihrem Mann ins Exil. Die Eltern fanden «in Dresden zusammen, in einer kleinen Gemeinschaft von Spaniern». Sie bekommen Woh­nung und Arbeit durch die Partei. Katias Mutter wollte dann, dass «Papá von der Partei abrückte» und so zog das Paar nach Berlin. Dort kommt Katia 1950 zur Welt und drei Jahre später ihre Schwester Martina. In dem Hinweis auf die «Familiengeschichte» schwingt durchaus die Möglichkeit mit, dass nicht alles stimmen muss, was von Katias Mutter tra­diert wird.

Aus der Literatur zum Exil spanischer Bürgerkriegsflüchtlinge in der Sowjetunion ist bekannt, dass am Ende des Bürgerkriegs März/April 1939 (nicht 1938) etwa 1.000 meist der PCE zugehörige oder nahestehende Spanier in der Sowjetunion aufgenommen wurden. Das Gros dieser Flüchtlinge konn­te erst nach dem Tod Stalins die UdSSR verlassen. In einem schmalen Zeitfenster um das Jahr 1946 wurde allerdings einigen Spaniern erlaubt, nach Frankreich oder Lateinamerika zu gehen (Alted 2002, S. 131, 138 f., 143 und Lister 2005, S. 301). Hinweise, dass sich irgendeiner aus diesem Per­sonenkreis in die SBZ begeben hätte, finden sich nicht.

Mit Blick auf die Literatur mutet es sehr unwahrscheinlich an, dass ein Mitglied der KP Spaniens, das acht Jahre in der UdSSR verbracht hat und kein Deutsch sprach, sich 1946, also noch vor der Gründung der DDR, entscheidet nach Dresden zu gehen. Das Exil-Kollektiv der spanischen Kom­munisten in Dresden, auf das angespielt wird, gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht; es entstand erst als Folge der Operation Bolero-Paprika in den Jahren 1950/51. Auch die Entscheidung, einem Wunsch der Ehefrau folgend, von Dresden nach Berlin überzusiedeln, weil sie die Nähe ihres Gat­ten zur Partei nicht schätzte, unterstellt einen Grad an Entscheidungsfreiheit der einzelnen Person, der eher unwahrscheinlich ist. Ein einfacher Wechsel des Wohnsitzes ohne das Plazet von SED und PCE ist schwer vorstellbar. Es wird im Roman auch keine Verbindung zwischen dem Um­zug von Dresden nach Berlin und dem kleinen Kollektiv spanischer Kommunisten, das es in Berlin ab 1950/51 gab, hergestellt.

Moreno Durán hat demnach eine höchst untypische, wenn nicht sogar unmögliche, Biografie des Vaters konstruiert. Informationen über Exilspanier, die schon vor der Gründung der DDR auf deut­schem Boden lebten und derer, die 1950/51 mit der Operation Bolero nach Dresden kamen, werden vermischt. Dabei wäre es ein Leichtes für die Autorin gewesen, den Vater mit einer historisch be­trachtet realistischeren Biografie auszustatten, z.B. als Bürgerkriegsflüchtling, der nach einem ers­ten Exil in der UdSSR (1939-1946) im Jahr 1946 nach Frankreich gekommen wäre, um dann als Folge der Operation Bolero 1950 in die DDR abgeschoben zu werden – mit dem Nachzug der Ehe­frau im folgenden Jahr.

5.2 Der Auftritt von José Quevedo als Dozent De Vega im Roman

Eine besondere Beachtung, um den Umgang der Autorin mit der Geschichte zu verstehen, verdient die Person des Spanisch-Lektors De Vega an der Humboldt Universität Berlin (Kapitel 10, S. 72-75), über den zu erfahren ist, dass er auf Seiten der spanischen Republik stand, aus Franco-Spanien flüchtete und eine Buchhandlung in Berlin aufmachte ‒ und zwar schon zur Zeit des Nationalsozia­lismus ‒, und in dieser Buchhandlung ein Bild von Franco aufgehängt hatte, um die Nazis zu täu­schen. Bald nach der Begegnung (im Jahr 1971) mit Katia und ihrem Vater, von dem der Leser spä­ter erfährt, dass er andere Exilspanier observierte, lehrt De Vega nicht mehr an der Universität.

In der Person dieses Dozenten steckt viel von jenem José Quevedo, den die Historiker kennen (vgl. z.B. Uhl 2004, S. 236f., Drescher 2008, S. 37) und über dessen Leben seine Tochter Núria Quevedo schon 2004 ausführlich und faszinierend im Gespräch mit Mercedes Álavrez berichtet hat (Álvarez und Quevedo 2004). José Quevedo ist als Leiter der 1947 gegründeten Vereinigung republikanischer und kommunistischer Emigranten ERE (s.o) bekannt. Er war in Spanien Mitglied der PCE und ein loyal zur Republik stehender Be­rufssoldat der Luftwaffe. 1939 musste er aus Spanien fliehen, durchlief verschiedene französische Internierungslager und arbeitete dann von 1941 bis 1945 in Berlin in der deutschen Rüstungsindus­trie (wie viele aus Frankreich deportierte bzw. über die Organisation Todt angeworbene Bürger­kriegsflüchtlinge). In seiner Bleibe in Berlin hatte er über seinem Bett ein Foto Francos angebracht. Nach dem II. Weltkrieg, genauer 1952, holte er seine Frau und die Tochter Núria aus Spanien nach. Da hatte er schon die «Internationale Buchhandlung Quevedo» aufgemacht. An der Humboldt Uni­versität unterrichtete er auf Vermittlung des großen Romanisten Werner Krauss (dem Hans Ulrich Gumbrecht 2002 ein sehr einfühlsames und berührendes Denkmal gesetzt hat). Bis 1954 unterrich­tete Quevedo an der HU. Dann wurde aber ein neuer Spanischlehrer aus Dresden angefordert und nach Drescher ist «durchaus an einen erzwungenen Rückzug Quevedos zu denken» (Drescher 2008, S. 115). In einem Feature des Deutschlandfunks über das Ostberliner Kollektiv der Exilspanier (Chmielorz 2016) wird übrigens die Anforderung eines neuen Spanisch-Dozenten 1954 bestätigt.

Die Ähnlichkeiten zwischen der Romanfigur und den Erinnerungen Núria Quevedos an ihren Vater, sind frappierend: Vom Dozenten De Vega heißt es im Roman, er «prahlte damit, dass er vom größ­ten spanischen Dichter aller Zeiten abstamme, Lope de Vega» (S.73). Núria Quevedo über ihren Va­ter: «Mein Vater hat immer davon geträumt, Nachkomme des Don Francisco zu sein» (Álvarez und Quevedo 2004, S. 33). Angespielt wird hier auf die spanischen Barockdichter Félix Lope de Vega und Francisco de Quevedo.

Konfrontiert mit der Empörung des linientreuen Kommunisten wegen seines eigenwilligen Lebens­wegs, antwortet De Vega «Wollen Sie mir etwas über das Leben erzählen? Überleben nenne ich es» (S. 74). Núria Quevedo konfrontiert damit, dass ihr Vater für die Nazis arbeitete, antwortet «Um das Leben zu retten, versuchte man alles, klar» (Álvarez und Quevedo 2004, S. 25).

Unter dem Aspekt der geschichtlichen Plausibilität ist die Geschichte des Herrn de Vega höchst un­wahrscheinlich. Wie sollte ein republikanischer Bürgerkriegsflüchtling, den es nach Nazi-Deutsch­land verschlagen hatte, in Kriegszeiten in Berlin eine Buchhandlung aufmachen können, und diese danach bis mindestens in die siebziger Jahre in der DDR weiterführen? Die typische Verwendung spanischer Bürgerkriegsflüchtlinge in Nazi-Deutschland war ihr Einsatz als Vertrags- oder Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie.

Es gibt ein verborgenes intertextuelles Spiel zwischen dem Roman und den Erinnerungen von Núria Quevedo und Mercedes Álvarez. In die Figur des Dozenten De Vega sind, wie gezeigt, sicht­bar Informationen über José Quevedo eingeflossen. Auch in der Ausstaffierung der Mitglieder der Kleinfamilie von Vater, Mutter, Katia und Schwester Martina finden sich zahlreiche Versatzstücke aus den Erinnerungen der beiden wirklichen Töchter von Kommunisten. In Abwandlung des bekannten Satzes «Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig» sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen bei Moreno Durán also keines­wegs zufällig. Nur sind die Lebensläufe, die sie aus dem vorhandenen Material unterschiedlicher Flüchtlingsschicksale konstruiert hat, in einigen Punkten nicht belastbar. Die meisten Leserinnen und Lesern dürften sich an den kleinen histori­schen Ungereimtheiten nicht stören.

5.3 Katias mangelndes politisches Interesse

Zeitgeschichte wird im Roman weitgehend dadurch ausgeklammert, dass die Protagonistin als un­politisch gezeichnet wird. Das wird besonders deutlich daran, dass der Konflikt zwischen den mos­kautreuen Kommunisten und der KP Spaniens unter der Führung Santiago Carrillos, die einen euro­kommunistischen Kurs verfolgte, und der die Exilspanier in der DDR seit dem Ende der 60iger Jahre in zwei Lager spaltete, in Dresden wie in Berlin, nirgends aufscheint (s.o.). Selbst der Ein­marsch des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968, der von der PCE verurteilt und von der SED mitgetragen wurde, und der den bestehenden Konflikt unter den Exilanten noch verschärfte, findet keinen Eingang in den Roman, obwohl die Protagonistin zu dem Zeitpunkt 18 Jahre alt ist, mit anderen Jugendli­chen zusammen kommt und in Berlin studiert. Was sie 1971 beschäftigt, sind die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, an deren Vorbereitung sie mitmacht. Dass diese nicht 1971 wie im Roman angegeben, sondern erst 1973 stattfanden, ist für den Gang der Erzählung nicht entscheidend.

Dem Konflikt zwischen SED und PCE um das Jahr 1973, als die DDR das Francoregime diploma­tisch anerkannte, wird keine Beachtung geschenkt. Auch die Demonstrationen in der Bundesrepublik gegen das Regime in Spanien in seiner brutalen Endphase, werden nicht wahrgenommen. Depressiv und zurückgezogen in der schwäbischen Provinz, wird die Bun­desrepublik der 70er und 80er Jahre von der Protagonistin in den Klischee der 50iger-Jahre er­lebt: Hausbau, Auto, Kinder, bis zum Umfallen arbeitender Ehemann, der vor dem Fernseher abends seine Biere trinkt, die Frau ans Haus gefesselt. Die Wahrnehmung der politischen Veränderungen und der Wirklichkeit sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik wirkt merkwürdig beschränkt und getrübt.

5.4 Katias Identitätsproblem

Das Thema der schwierigen Identitätsfindung der Kinder der spanischen Kommunisten in der DDR wurde in der Literatur untersucht (Denoyer 2011, 2017): Min­destens zwei Identitätsquellen spielten üblicherweise eine Rolle: die eine, welche die Eltern an ihre Kinder weiter­gaben, und die andere die das Aufnahmeland anbot (Denoyer 2011, S. 106). Häufig war es aber auch noch ein Drittland, Frankreich oder Russland z.B., das eine Rolle spielte. Gerade die komplexen Biografien von Mercedes Álvarez und Núria Quevedo zeigen eindrucksvoll, dass die Exilerfahrung der Töchter von Kommunisten auch neuartige, komplexe, gelingende Identitäten hervorbringen kann.

Interessant in der Studie von Denoyer ist zudem der Befund der starken Bedeutung der DDR und die Bindung daran: «Nicht zuletzt haben die Kinder der Exilanten eine besondere, weil dauerhafte Beziehung zur DDR entwickelt. Auch wenn sie die Schwächen des ostdeutschen Re­gimes durchaus erkennen und den dort herrschenden Mangel an Freiheit verurteilen, verteidigen sie bis heute das untergegangene Land […]» (Denoyer 2011, S. 108). Denoyer schreibt weiter: «Für die zweite Generation der Spanier in der DDR geriet das politische Exil [da­her] zu einer strukturierenden biografischen Erfahrung, in der dem National- und Identitätsgefühl sowie den Beziehungen mit der Ursprungs- und der Aufnahmegesellschaft ein besonderes Gewicht zukam» (Denoyer 2011, S. 109).

Ähnliches lässt sich auch für die Hauptfigur des Romans behaupten. Bezogen auf ihre Kindheit und Jugend in der DDR kann von einer «strukturierenden biografischen Erfahrung» gesprochen werden. In späteren Jahren ist ihr Bezugspunkt indes ein anderer: Es sind die enttäuschenden Erfahrungen in der Bundesrepublik, die zu einer wachsenden Ab­lehnung der Lebensverhältnisse dort und zu einer nostalgischen Aufwertung der DDR führen.

Es bleibt zu fragen, welche Rolle Spanien als über die Eltern vermittelte «Ursprungsgesellschaft» für die Identitätsbildung der Hauptfigur spielt. Dass Katia aus einer spanischen Migrantenfamilie in der DDR stammt, spielt für ihr Unglück und Leid im Roman vordergründig kaum eine Rolle. Es zieht sie nicht nach Spanien und sie versucht auch nicht, Kontakt mit ihren Verwandten in Spanien herzustellen. 1989 betritt sie erstmals in ihrem Leben spanischen Boden. Eine von ihrem Ehemann, Johannes, ohne ihr Wissen geplante und durchgesetzte Reise nach Spanien, wird zum Fiasko. Der erzwungene Besuch des Heimatorts ihrer Eltern, Dos Aguas, wird abrupt abgebrochen. Spanien ist für sie keine mögliche Heimat und erst recht kein Sehnsuchtsort. Mit ihrer Lebensgeschichte und der Migrationsgeschichte ihrer Eltern scheint sie im heutigen Spanien nichts verloren zu haben. Für dieses Gefühl dürften hauptsächlich ihre von Scham und Schuldgefühlen geprägten Identitätsprobleme verantwortlich sein. Dass Spanien sich nach Franco als Monarchie konstituierte und die politische Aufarbeitung des Unrechts, das an den Republikanern verübt wurde, zu der Zeit (1989) praktisch nicht stattfand, dürfte dagegen weniger relevant für Katias Nicht-Zugehörigkeitsgefühl sein.

Katia stellt nicht nur einen untypi­schen, sondern einen höchst unwahrscheinlichen Fall einer Exilspanierin der zweiten Generation dar. Ihr Identitätskonflikt ist vorwiegend innerdeutsch: BRD = Fremde vs. DDR = Heimat. Sie ist so wenig politisch bewußt, dass sie nicht ein­mal die Errungenschaften der DDR bezüglich einer fortschrittlichen Frauenrolle verteidigt. Auch die kommunis­tischen Werte ihres Vaters führen sie nicht dazu, sich politisch zu orientieren oder gar zu organisie­ren. Was bleibt, ist eine unreife junge Frau, die wegen einer emotionalen Beziehung von der DDR in die BRD übersiedelt, von der Beziehung wie vom Leben im Westen enttäuscht wird, dort fremd bleibt, depressiv wird und sich nach der alten Heimat sehnt.

Es ist dem Rezensenten nicht bekannt, dass je eine Tochter eines der wenigen spanischen Kommunisten im DDR-Exil in die BRD ging, und dass je ein linientreuer spanischer Kommunist zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde (und schließlich sogar im Gefängnis umkam), weil seine volljährige Tochter in die Bundesrepublik geflohen war. Hätte es solch eine Geschichte wirklich gegeben, wäre sie den Exilspaniern kaum verborgen geblieben und mithin bekannt.

6. Schlussbetrachtung

Es bleibt festzuhalten, dass Moreno Durán mit ihrem Roman auf ein spannendes Kapitel Deutsch-Spanischer Geschichte aufmerksam macht: das Leben spanischer Bürgerkriegsflüchtlinge und deren Kinder in der DDR. Das sprachliche Vermögen der Autorin, mit weni­gen Worten, kurzen prägnanten Sätzen, poetischen Verdichtungen, originellen Vergleichen, Gegenschnitten, Andeutungen und Leerstellen, der Leserschaft Situationen, Stimmungen und Befindlichkeiten nahezubringen, ist ihre Stärke. Darum lassen sich viele zunächst gerne auf den Roman ein und verfolgen, wie sich die Hauptperson anekdotenreich, farbig und in ihrem eigenwilligen Schreibstil an ihre Jahre in der DDR von 1956 bis 1971 erinnert. Der Teil, der in der Bundesrepublik spielt, fällt dann deutlich ab.

Die Zeit von 1971 bis 1991, die in der BRD spielt, ist eine bleierne Zeit. Nur unter der Annahme ei­ner sich steigernden Depression der Hauptperson, einer gelähmten Handlungsfähigkeit und einer Weltwahrnehmung der Wirklichkeit durch den Schleier des psychischen Leids, will dem Rezensenten dieser Teil als glaubhaft vorkommen. Die Depression zusammen mit dem Desinteresse der Hauptperson an politischen Entwicklungen hüben und drüben und die geringe Bedeutung, die Spanien für ihre Identität spielt, reduzieren diesen Teil auf eine künstliche Konstruktion von Ost-Hei­mat – West-Fremde. Raffiniert daran ist in gewisser Weise, dass die Hauptperson das Schicksal ihrer Mutter wie­derholt, die die DDR als Fremde erlebte, sich nicht integrierte und nicht integrieren wollte. Katia wäre demnach viel mehr die Tochter ihrer unglücklichen Mutter als die ihres kommunistischen Vaters. Die Parallele geht soweit, dass sich die fatale Entscheidung der in Spanien lebenden Mutter, ihrem Mann in die DDR zu folgen, in der fatalen Entscheidung ihrer Tochter, ihrem späteren Mann Johannes in die BRD zu folgen, wiederholt. Fremde und Leid bei Mutter und Tochter hüben wie drüben. Der einen erfriert das Herz in der DDR, der anderen in der BRD.

Die Betrachtung des Verhältnisses von Fakten und Ausgedachtem in der Erzählung hat ergeben, dass die Autorin es nicht darauf anlegt, entgegen der Erwartung des Rezensenten, ihre Romankonstruktion mit den bekannten historischen Fakten und der Lebenswirklichkeit der Exilspanier der ersten und zweiten Generation bestmöglich in Deckung zu bringen und dadurch das Verständnis für deren Lebensläufe und Schicksale zu vertiefen. Im Gegenteil, es wird einiges getan, um die Wirklichkeit auf Abstand zu halten. Die gewählte DDR-BRD-Konstellation ist zunächst (bis zum Beweis des Gegenteils) eine Kopfgeburt, reine Fiktion. Das wichtigste Mittel, die Wirklichkeit außen vor zu lassen, findet sich dabei in der psychologischen Ausstattung der Hauptperson nach ihrer Übersiedlung in die BRD, die geradezu darauf ausgerichtet scheint, die Wirklichkeit nicht klar zu sehen: wegen ihrer Unreife, ihrem Desinteresse am politischen Geschehen, ihrer Initiativlosigkeit und vor allem wegen ihrer Depression.

Viel mehr als in dem Roman erfährt man in dem Gespräch zwischen Mercedes Álavrez und Núria Quevedo (2004) über die Töchter von spanischen Kommunisten in der DDR. Das Buch, das daraus entstanden ist, würde der Rezensent gerne ins Spanische übersetzt sehen. Zu begrüßen wäre außerdem eine fundierte historische Arbeit zu den republikanischen Flüchtlingen, die sich 1945, direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bereits in Deutschland befanden und später in der DDR lebten. Das abenteuerliche Leben des José Quevedo verdiente dabei eine eigene Darstellung.

7. Literatur

  • Alted Vigil, Alicia: Los exilios en la España contemporánea. In: Ayer (Asociación de Historia Contemporánea), 2002, No. 47, S. 129-154
  • Álvarez, Mercedes und Quevedo, Núria: Ilejanía – Unferne: die Nähe des Vergessenen. Ein Gespräch. BasisDruck: Berlin 2004
  • Alvite, Maite im Interview mit Aroa Moreno Durán. Diario de Ibiza vom 13. März 2019
  • Chmielorz, Rilo: Operation Bolero. Das spanische Kollektiv in Ost-Berlin. Manuskript zur Sendung im Deutschlandfunk vom 10.5.2016 (19:15-20:00)
  • Denoyer, Aurélie: Les réfugiés politiques espagnols en RDA. In: Trajectoires 3 | 2009
  • Denoyer, Aurélie: Integration und Identität. Die spanischen politischen Flüchtlinge in der DDR. In: Kim Christian Priemel (Hg.): Transit – Transfer: Politik und Praxis der Einwanderung in die DDR 1945 – 1990. Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung: Dresden 2011, S. 98-112
  • Denoyer, Aurélie: Exil als Heimat. Die spanischen kommunistischen Flüchtlinge in der DDR. Individuelle Lebensläufe, Kollektivgeschichte. Dissertationsprojekt. In: The International Newsletter of Communist Studies XVIII, (2012), no. 25 . S. 40-43
  • Denoyer, Aurélie: L’exil comme patrie. Les réfugiés communistes espagnols en RDA (1950-1989). Trajectoires individuelles, histoire collective. In: Trajectoires 6 | 2012 
  • Denoyer, Aurélie: L’exil comme patrie. Les réfugiés communistes espagnols en RDA (1950-1989). Presses universitaires de Rennes: Rennes 2017; online verfügbar; diese Publikation beruht auf der Dissertation von 2012
  • Denoyer, Aurélie und Faraldo, José M.: »Es war sehr schwer nach 1968 als Eurokommunistin«. Emigration, Opposition und die Beziehungen zwischen der Partido Comunista de España und der SED. In: Arnd Bauerkämper und Francesco Di Palma (Hg.): Bruderparteien jenseits des Eisernen Vorhangs. Die Beziehungen der SED zu den kommunistischen Parteien West- und Südeuropas (1968–1989). Ch. Links Verlag: Berlin 2011, S. 186-202
  • Drescher, Johanna: Asyl in der DDR. Spanisch-kommunistische Emigration in Dresden (1950-1975). vdm-Verlag: Saarbrücken 2008
  • Eiroa, Matilde: Españoles tras el Telón de Acero: El exilio republicano y comunista en la Europa socialista. Marcial Pons Ediciones de Historia: Madrid 2018
  • Gumbrecht, Hans Ulrich: Vom Leben und Sterben der großen Romanisten. Carl Hanser Verlag: München 2002
  • Heine, Hartmut: El exilio republicano en Alemania Oriental (República Democrática Alemana-RDA). In: Migraciones y Exilios, 2-2001, S. 111-121
  • Kreienbrink, Alexander: Der Umgang mit Flüchtlingen in der DDR am Beispiel der spanischen ‚politischen Emigranten‘. In: Totalitarismus und Demokratie, 2(2005)2, S. 317-344
  • Lister, Enrique: Vorgeschichte und Voraussetzungen der Ansiedlung der spanischen kommunistischen Emigranten in Osteuropa. In: Totalitarismus und Demokratie, 2(2005)2, S. 289-316
  • Meerwald, Johannes: Spanische Häftlinge in Dachau. Bürgerkrieg, KZ-Haft und Exil. Wallstein Verlag: Göttingen 2022
  • Poutrus, Patrice G.: Zuflucht im Ausreiseland. Zur Geschichte des politischen Asyls in der DDR. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 11. Jg. (2004), S. 355-378
  • Strode, Sara im Interview mit Aroa Moreno Durán. In: El papel amarillo (blog de críticas literarias) vom 23. Juli 2018
  • Uhl, Michael: Mythos Spanien. Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR. Dietz: Bonn 2004.
  • Whittemore, Katie im Interview mit Aroa Moreno Durán. In: H for History Blog vom 8. Februar 2021

Aroa Moreno Durán: Die Tochter des Kommunisten. btb Verlag: München 2022, ISBN 978-3-442-75904-0

Johannes Meerwald: Spanische Häftlinge in Dachau | Presos españoles en Dachau

Un aporte a la representación histórica de una epopeya casi olvidada

Reseña de Knud Böhle (Spanienecho de 02.11.2022), traducción de Pascual Riesco Chueca (Spanienecho de 18.11.2022)

1. Introducción

Johannes Meerwald es el autor de la primera monografía en lengua alemana sobre los españoles encarcelados en el campo de concentración de Dachau. La obra ha sido publicada en octubre de 2022 por Wallstein Verlag, en la «Serie pequeña» del Instituto Fritz Bauer. El libro es una versión revisada de su tesis de máster, que recibió en 2021 el premio de investigación Stanislav Zámecník del Comité International de Dachau (CID). El estudio se basa en una ambiciosa exploración de los archivos españoles y alemanes, así como en el examen de la literatura científica secundaria, de las memorias publicadas por prisioneros españoles de Dachau, y por prisioneros de otras naciones que aportan datos sobre los presos españoles.

2. Una primera ojeada

Antes de entrar en detalles sobre la obra, conviene exponer brevemente, a partir del material aportado por Meerwald, las etapas de la odisea y los hechos históricos más destacables. Al menos 659 de los españoles que huyeron a Francia al final de la Guerra Civil fueron deportados al campo de concentración de Dachau (p. 105). Dachau era un campo de hombres. Para las pocas mujeres españolas que llegaron a Dachau, este campo constituyó tan solo una breve etapa, de camino hacia otro campo de concentración (cf. p. 50 y ss.). Un total de 130 españoles murieron en Dachau. A fines de abril de 1945, el campo de concentración fue liberado por las tropas estadounidenses (ver p. 107).

Da comienzo esta odisea con la salida de aproximadamente medio millón de mujeres, niños y hombres, huidos a Francia ante el avance victorioso de las tropas de Franco. Para sugerir la magnitud del éxodo puede señalarse que, a finales de 1939, todavía quedaban unos 200.000 exiliados españoles en suelo francés, muchos de ellos recluidos, en lamentables condiciones, en los campos de internamiento del sur de Francia (cf. p. 15). A los hombres capacitados para la lucha armada se les brindaba una oportunidad para salir de los campos, la de ponerse a disposición del ejército francés. Las opciones eran: incorporarse a la Legión Extranjera, a los RMVE (Régiments de Marche de Volontaires Étrangers), o a las CTE (Compagnies de Travailleurs Étrangers).

Los españoles presos en el campo de concentración de Dachau entre 1940 y 1943 eran en su mayoría prisioneros de guerra capturados a raíz de la derrota de Francia por la Wehrmacht alemana. La mayor parte de ellos había participado anteriormente, entre 1939 y 1940, en la defensa de la Tercera República francesa. Unos 50.000 españoles, se estima, fueron desplegados para reforzar la línea Maginot (ver p. 16).

En cuanto a los quinientos españoles, aproximadamente, que fueron deportados en 1944 a Dachau, en su mayoría pertenecen a la resistencia contra el régimen de Vichy y contra la ocupación alemana. Procedentes de cárceles francesas, campos de internamiento y campos de concentración franceses, fueron trasladados al campo de Dachau y su satélite Allach, para ser subsecuentemente usados como trabajadores forzados en la industria armamentística alemana (ver p. 40). Por supuesto, constituyen solo una pequeña fracción de las personas españolas que, activas en la Resistencia, terminaron deportadas en los campos nazis.

Tras la liberación de los campos de concentración en 1945, muchos de los españoles supervivientes regresaron nuevamente al exilio en Francia, ya que el régimen franquista no fue derrocado por los Aliados al final de la Segunda Guerra Mundial, siendo incluso cada vez más reconocido internacionalmente durante el transcurso de la Guerra Fría. Para la mayoría de los exprisioneros de los campos de concentración, regresar a España conllevaba un riesgo elevado de ser nuevamente perseguidos, encarcelados o incluso asesinados. Por su parte, el estado francés prestó «en general poca atención a la crítica situación de los supervivientes españoles» (p. 90). El apoyo estatal a los exprisioneros de los campos de concentración se limitó a quienes habían luchado previamente con el ejército francés. Los combatientes de la Resistencia que sobrevivieron al campo de concentración de Dachau se vieron excluidos de las subvenciones gubernamentales (p. 95). Para muchos, el exilio forzado solo terminó con la muerte del dictador en 1975. Entre tanto, ya han ido muriendo todos los españoles, testigos supervivientes del campo de concentración de Dachau (p. 109).

3. Algunos detalles y algunas cuestiones abiertas

3.1 Deportación al campo de concentración de Mauthausen y traslado de algunos prisioneros a Dachau

La pérdida de la guerra contra Alemania supuso a Francia más de un millón de prisioneros de guerra. La mayoría de ellos fueron destinados a trabajos forzados. Los prisioneros de guerra españoles, por su parte, fueron deportados al campo de concentración de Mauthausen-Gusen. Las condiciones del trabajo forzado, la mala alimentación, la violencia de los guardianes, encuadrados en las SS, y la práctica deliberada de asesinatos se confabularon para que pocos de ellos pudieran sobrevivir el internamiento. Hasta finales de 1941 habían sido llevados 7.200 españoles a este complejo de campos de concentración, de los cuales, casi dos terceras partes habían muerto a finales de 1943 (cf. p. 17 y ss.). Un número relativamente pequeño de prisioneros españoles fue trasladado desde Mauthausen-Gusen entre 1940 y 1943 al campo de Dachau.

Algunas preguntas en torno a este escenario, planteadas por Meerwald, no han sido completamente resueltas aún por la investigación. ¿Por qué los prisioneros de guerra españoles no fueron tratados como tales, según derecho de guerra, sino deportados a Mauthausen como apátridas? ¿Por qué todos los prisioneros de guerra españoles fueron deportados a Mauthausen? ¿Cuáles fueron los motivos del traslado de presos españoles desde Mauthausen a Dachau? Hay una hipótesis plausible para la primera pregunta: uno de los objetivos de Franco era la aniquilación de los españoles republicanos, tanto en el interior como en el extranjero; incluso tras la victoria en la Guerra Civil, el dictador no desistió de este propósito. A sus cálculos le convenía la deportación de prisioneros de guerra españoles a campos de concentración alemanes. En ese momento, la Alemania nazi todavía esperaba que España luchara a su lado en la Segunda Guerra Mundial. Pero la investigación actual no ha conseguido poner totalmente en claro cuál fue el acuerdo entre ambas dictaduras sobre cómo tratar a los españoles prisioneros en Alemania (cf. p. 17).

3.2 Trabajos forzados, disolución de los campos de concentración, y detención en Francia

En el apogeo de la guerra, el trabajo forzado fue adquiriendo cada vez más importancia para la industria armamentista alemana, y ello se reflejó también en los campos de concentración. Meerwald ve en Albert Speer la «fuerza impulsora tras el radical giro economicista del sistema de campos de concentración, iniciado en 1942» (p. 54). En el curso de esta reorientación, el «rojo español» (Rotspanier en alemán), políticamente peligroso, pasó a ser considerado un útil trabajador forzoso (ver p. 106). El interés por gestionar esta mano de obra conllevó ciertas mejoras en la manutención de los presos.

No pocos de los españoles residentes por entonces en Francia se negaban a enrolarse en las brigadas de trabajo del régimen de Vichy, los Groupements de travailleurs étrangers, o en la OT, la Organización Todt. Prefirieron pasar a la clandestinidad y participar activamente en la resistencia contra el régimen de Vichy y los ocupantes alemanes (ver p. 38 y ss.). En caso de ser capturados, generalmente eran enviados a campos y prisiones franceses.

En el curso de varias mortíferas expediciones, en 1944, fueron transportados en tren, junto a muchos otros presos, a Alemania. En el desplazamiento desde el campo de concentración francés Royallieu a Dachau, del 29 de junio de 1944, el tristemente famoso train de la mort, 984 de los 2.162 deportados (entre ellos, 65 españoles) encontraron la muerte (cf. pp. 43-45). Al deseo de racionalizar la economía de guerra se contraponía, manifiestamente, una inhumana voluntad aniquiladora. Ante un transporte de presos tal como es documentado por Meerwald, ciertamente cabe dudar de que su finalidad principal fuese el aprovisionamiento con trabajadores forzados de la industria bélica. Dado el ineluctable avance de los Aliados, parece haber pasado a un primer plano el objetivo de disolver los campos y prisiones, sin tener en cuenta el coste en vida humana.

3.3 Sobre las condiciones de supervivencia de los presos españoles en Dachau

Meerwald también explora las condiciones de supervivencia de los prisioneros españoles en Dachau. Tres factores mejoraron la situación: en primer lugar, el apoyo y solidaridad de los numerosos interbrigadistas ―voluntarios que habían luchado del lado de la Segunda República Española en la Guerra Civil en las Brigadas Internacionales― fue de excepcional importancia. Al igual que los españoles presos en Dachau, los brigadistas fueron catalogados como «españoles rojos». Para trazar una imagen completa de la situación de los españoles en Dachau, hubiera sido de gran interés contar con más información sobre el número y la composición política y social de los interbrigadistas recluidos en el campo, dada su capital importancia para los presos españoles.

En segundo lugar, los españoles lograron establecer una red secreta de comunicación y ayuda en el campo de concentración. El médico de presos Vicente Parra Bordetas fue de extraordinaria importancia para esta red, en su condición de médico, que le permitió salvar muchas vidas, y como cabeza de la red (ver p. 72).

En tercer lugar, «se esfumaron las diferencias» entre las distintas organizaciones políticas (comunistas estalinistas, marxistas antiestalinistas, socialistas, anarcosindicalistas) dentro del campo de concentración (ver p. 63). No está claro en este punto qué peso relativo tenían los diferentes grupos. Dado que la República Española fue apoyada no solo por fuerzas revolucionarias de izquierda, sino también por partidarios de la democracia burguesa y por militares leales, sería apropiado discutir hasta qué punto las posiciones republicanas no izquierdistas tuvieron presencia entre los presos de campos de concentración.

3.4 Exilio

Después de la reclusión, durante el exilio en Francia, la mencionada unidad se rompió de nuevo. Ello se refleja en la gran cantidad de asociaciones de sobrevivientes que se fundaron en el exilio. La FEDIP (Federación Española de Deportados e Internados Políticos) fue la asociación más potente. Los comunistas españoles crearon su propia asociación, que hubo de hacer frente a la línea oficial del PCE (Partido Comunista de España), desde el exilio en Moscú, que acusaba a los supervivientes de los campos de concentración de haber colaborado con los alemanes (cf. p. 94).

En contraste, presenta Meerwald un benigno pasaje de la historia del exilio, que tiene lugar en Múnich. No todos los presos españoles fueron a Francia tras su liberación. Hubo algunos que terminaron en Múnich. Allí residía en el Palacio Municipal de Nymphenburg la princesa española María de la Paz de Borbón y Borbón (casada con Luis Fernando de Baviera), de inclinaciones filantrópicas y caritativas. Algunos supervivientes españoles de Dachau acudieron a ella con una petición de socorro, que les fue concedida. A cambio, los «españoles rojos» repararon el palacio, dañado por las bombas, y «encontraron un nuevo hogar nada menos que en la residencia muniquesa de la familia Wittelsbach» (p. 85). Con la muerte de la infanta, a los 84 años, termina esta memorable historia el 3 de diciembre de 1946.

4. Resumen: contra el olvido

El libro llena un vacío en la investigación sobre los campos de concentración nazis y proporciona una pieza adicional de la historia acerca de las víctimas de la dictadura franquista, que sufrieron la fuga, los campos de internamiento, el trabajo forzado, el campo de Dachau y el exilio. El conocimiento de los hechos históricos y las anotaciones personales de los exprisioneros del campo de concentración se entrelazan en la obra de tal manera que se evita recluir a los prisioneros en un papel de meras víctimas. Por un lado, esto se consigue gracias a mencionar, siempre que es posible, los nombres de los presos y dar relieve a «las voces de los perseguidos» (p. 14) por medio de citas a propósito. A ello se suma el hecho de que se abarque toda la epopeya de los presos, incluyendo la historia antes y después del encarcelamiento en el campo de concentración. Todo ello contribuye a caracterizar a los presos como personas activas que hicieron una importante contribución a la defensa de la Tercera República francesa y a la resistencia contra las dictaduras que los oprimían.

Meerwald escribe con objetividad y detalle. Quizá justamente porque el autor prescinde del heroísmo y victimismo es por lo que esta historia nos sigue tocando hoy en día y haciendo aflorar algo no acabado ni resuelto. Traer a la memoria, con criterio histórico, un episodio casi olvidado del «siglo de los campos» (Zygmunt Bauman) es abrir vías de conexión con el presente. Esto es lo que consigue Meerwald con su estudio.


Johannes Meerwald: Spanische Häftlinge in Dachau. Bürgerkrieg, KZ-Haft und Exil. Reihe: Kleine Reihe zur Geschichte und Wirkung des Holocaust; Bd. 4. Wallstein Verlag: Göttingen 2022, ISBN 978-3-8353-5320-6 (Oktober 2022) [Presos españoles en Dachau. Guerra Civil, campo de concentración y exilio. Serie pequeña sobre la historia y efectos del holocausto. Vol. 4. Gotinga: Wallstein Verlag 2022, ISBN 978-3-8353-5320-6 (octubre de 2022)]

Johannes Meerwald: Spanische Häftlinge in Dachau. Bürgerkrieg, KZ-Haft und Exil

Ein Beitrag zur historischen Vergegenwärtigung einer fast vergessenen Odyssee

Rezension von Knud Böhle

1. Einleitung

Johannes Meerwald hat die erste deutschsprachige Monographie zu den im KZ Dachau inhaftierten Spaniern vorgelegt. Die Arbeit ist im Oktober 2022 im Wallstein Verlag, in der «Kleinen Reihe» des Fritz Bauer Instituts, erschienen. Das Buch ist die überarbeitete Fassung seiner Masterarbeit, die 2021 mit dem Stanislav Zámecník-Studienpreis des Comité International de Dachau (CID) ausgezeichnet worden war. Die Studie beruht auf intensiver Arbeit in den einschlägigen spanischen und deutschen Archiven, einer Auswertung der wissenschaftlichen Sekundärliteratur sowie der publizierten Erinnerungen der spanischen Häftlinge und anderer KZ-Häftlinge, die sich zu den Spaniern im KZ geäußert haben.

2. Ein erster Überblick

Bevor auf Details der Arbeit eingegangen wird, werden zunächst auf Basis des von Meerwald ausgebreiteten Materials die Etappen der Odyssee und die relevanten historischen Ereignisse in knapper Form angesprochen: Mindestens 659 der am Ende des spanischen Bürgerkriegs nach Frankreich geflohenen Spanier wurden in das KZ Dachau deportiert (S. 105). Dachau war ein Männerlager. Für die Spanierinnen, die nach Dachau kamen, war dieses KZ nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg in ein anderes KZ (vgl. S. 50f.). Insgesamt starben 130 Spanier im KZ Dachau. Ende April 1945 wurde das KZ von US-amerikanischen Truppen befreit (vgl. S. 107).

Am Anfang der Odyssee stand die Flucht von geschätzt einer halben Million Frauen, Kindern und Männern vor den im Bürgerkrieg siegreichen Truppen Francos nach Frankreich. Ende 1939 befanden sich, um die Größenordnung zu verdeutlichen, noch etwa 200.000 Spanierinnen und Spanier im französischen Exil ‒ viele davon waren unter erbärmlichen Bedingungen in Internierungslagern im Süden Frankreichs untergebracht (vgl. S. 15). Den wehrfähigen Männer eröffnete sich die Möglichkeit, sich der französischen Armee zur Verfügung zu stellen, um den Lagern zu entkommen. Die Optionen waren: Eintritt in die Fremdenlegion, in die RMVE (Régiments de Marche de Volontaires Étrangers) oder in die CTE (Compagnies de Travailleurs Étrangers).

Die Spanier, die zwischen 1940 und 1943 im KZ-Dachau inhaftiert wurden, gehörten überwiegend zu den Kriegsgefangen nach dem Sieg der Deutschen Wehrmacht über Frankreich. In der Mehrzahl hatten sie in den Jahren 1939 und 1940 zur Verteidigung der Dritten Französischen Republik beigetragen. An der Befestigung der Maginot-Linie kamen geschätzt 50.000 Spanier zum Einsatz (vgl. S. 16).

Die circa 500 Spanier, die 1944 nach Dachau deportiert wurden, sind in ihrer Mehrzahl dem Widerstand gegen das Vichy-Regime und gegen die deutsche Besatzung zuzurechnen. Sie wurden aus französischen Gefängnissen, Internierungslagern und französischen KZs in das KZ Dachau und das Außenlager Allach verschleppt, wo sie dann als Zwangsarbeiter für die deutsche Rüstungsindustrie eingesetzt wurden (vgl. S. 40). Sie machen selbstverständlich nur einen kleinen Teil der spanischen Frauen und Männer aus, die im Widerstand aktiv waren und in nationalsozialistische Konzentrationslager deportiert wurden.

Nach der Befreiung der Konzentrationslager 1945 schloss sich für viele der überlebenden Spanier erneut eine Zeit des Exils in Frankreich an, da das Franco-Regime von den Alliierten am Ende des II. Weltkriegs nicht gestürzt wurde und im Zuge des Kalten Krieges international sogar zunehmend aufgewertet wurde. Eine Rückkehr nach Spanien war für die meisten der ehemaligen KZ-Häftlinge mit einem hohen Risiko verbunden, erneut verfolgt, inhaftiert oder sogar ermordet zu werden. Der französische Staat seinerseits schenkte der «Notlage der spanischen Überlebenden insgesamt nur wenig Aufmerksamkeit» (S. 90). Die staatliche Unterstützung ehemaliger KZ-Häftlinge beschränkte sich auf die, die zuvor für die französische Armee tätig gewesen waren. Die Widerstandskämpfer, die das KZ Dachau überlebten, waren von staatlichen Zuwendungen ausgeschlossen (S. 95). Für viele endete das erzwungene Exil erst mit dem Tod des Diktators im Jahre 1975. Inzwischen sind alle spanischen Zeitzeugen, die das KZ Dachau überlebten, verstorben (S. 109).

3. Einige Details und einige offene Fragen

3.1 Verschleppung in das KZ Mauthausen und Verlegung einiger Häftlinge nach Dachau

Der gegen Deutschland verlorene Krieg bedeutete weit mehr als eine Million französische Kriegsgefangene. Die meisten davon wurden zur Zwangsarbeit herangezogen. Die spanischen Kriegsgefangenen hingegen wurden in den KZ-Komplex Mauthausen-Gusen deportiert. Die Bedingungen der Zwangsarbeit, die schlechte Versorgung, die Gewalttätigkeit der SS-Aufseher und gezielte Mordaktionen sind dafür verantwortlich, dass so wenige Menschen das Lager überlebten. Bis Ende 1941 wurden 7.200 Spanier in diesen KZ-Komplex verschleppt, von denen bis Ende 1943 beinahe zwei Drittel verstarben (vgl. S. 17f.). Eine vergleichsweise kleine Anzahl spanischer Häftlinge wurde zwischen 1940 und 1943 aus Mauthausen-Gusen in das KZ Dachau verlegt.

Einige Fragen in diesem Zusammenhang, die Meerwald anspricht, sind in der Forschung noch nicht ganz geklärt. Warum wurden die spanischen Kriegsgefangenen nicht entsprechend dem Kriegsgefangenenrecht behandelt, sondern als Staatenlose nach Mauthausen deportiert? Warum wurden alle spanischen Kriegsgefangenen nach Mauthausen deportiert? Was waren die Gründe, spanische Häftlinge von Mauthausen nach Dachau zu verlegen? Für die erste Frage gibt es eine plausible Annahme: Die Vernichtung republikanischer Spanier im Inland und im Ausland war ein Ziel Francos, das er auch nach dem Sieg im Bürgerkrieg weiter verfolgte. Die Verschleppung der spanischen Kriegsgefangenen in deutsche KZs entsprach diesem Interesse. Zu dem Zeitpunkt erwartete Nazi-Deutschland noch, Spanien würde an seiner Seite in den Zweiten Weltkrieg eintreten. Wie genau der Verständigungsprozess zwischen den Diktaturen über den Umgang mit den Spaniern in deutscher Kriegsgefangenschaft ablief, ist wissenschaftlich noch nicht gänzlich geklärt (vgl. S. 17.).

3.2 Zwangsarbeit und Auflösung der Lager und Gefängnisse in Frankreich

Auf dem Höhepunkt des Krieges wurde Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie immer wichtiger, und das hatte auch Auswirkungen auf die KZs. Meerwald sieht Albert Speer als «treibende Kraft hinter der seit 1942 radikal betriebenen Ökonomisierung des KZ-Systems» (S. 54). Im Zuge dieser Neuausrichtung wurde der politisch gefährliche «Rotspanier» zum nützlichen Zwangsarbeiter umgedeutet (vgl. S. 106). Das Interesse am Erhalt der Arbeitskraft brachte eine gewisse Verbesserung der Versorgung der Häftlinge mit sich.

Nicht wenige Spanierinnen und Spanier, die sich zu diesem Zeitpunkt in Frankreich aufhielten, wollten weder in den Arbeitsbrigaden des Vichy-Regimes, den Groupements de travailleurs étrangers, arbeiten, noch für die OT, die Organisation Todt. Sie zogen es vor, in den Untergrund zu gehen und im Widerstand gegen das Vichy-Regime und die deutschen Besatzer aktiv zu werden (vgl. S. 38f.). Wurden sie gefasst, kamen sie in der Regel in französische Lager und Gefängnisse.

In mehreren mörderischen Transporten wurden sie (mit vielen anderen) 1944 mit Zügen nach Deutschland verschleppt. Bei dem Transport aus dem französischen KZ Royallieu nach Dachau am 29.6.1944, dem traurig berühmten train de la mort, kamen von den 2.162 Deportierten (darunter 65 Spanier) 984 während des Transports um (vgl. S. 43-45). Der Rationalisierungswille der Kriegswirtschaft wurde offenkundig durch menschenverachtenden Vernichtungswillen konterkariert. Es kann bezweifelt werden, dass die bei Meerwald dokumentierten Transporte noch primär der Zufuhr von Zwangsarbeitern für die Rüstungsindustrie dienten. Angesichts des unabweisbaren Vorrückens der Alliierten war die Auflösung der Lager und Gefängnisse, ohne Rücksicht auf Menschenleben, womöglich zum vorrangigen Ziel geworden.

3.3 Zu den Überlebensbedingungen der spanischen Häftlinge in Dachau

Meerwald geht auch auf die Überlebensbedingungen der spanischen Häftlinge in Dachau ein. Drei Faktoren verbesserten die Lage: von außerordentlicher Bedeutung war erstens die Unterstützung und Solidarität der zahlreichen Interbrigadisten, also der Freiwilligen, die an der Seite der II. Spanischen Republik im Bürgerkrieg in den Internationalen Brigaden gekämpft hatten. Die Interbrigadisten wurden ebenso wie die Spanier im KZ Dachau als «Rotspanier» kategorisiert. Zusätzliche Informationen zur Anzahl sowie der politischen und sozialen Zusammensetzung der für die Spanier so wichtigen Interbrigadisten im KZ Dachau zu erhalten, wären für das Gesamtbild der Lage der Spanier im KZ Dachau durchaus interesssant gewesen.

Den Spaniern gelang es zweitens im KZ, ein geheimes Kommunikations- und Hilfsnetzwerk zu unterhalten. Der Häftlingsarzt Vicente Parra Bordetas war von außerordentlicher Bedeutung für dieses Netzwerk – als Arzt, der viele Leben retten konnte, und als Kopf des Netzwerks (vgl. S. 72).

Drittens «verflüchtigten sich die Differenzen» der unterschiedlichen politischen Organisationen (stalinistische Kommunisten, antistalinistische Marxisten, Sozialisten, Anarcho-Syndikalisten) im KZ (vgl. S. 63). Unklar bleibt an dieser Stelle, wie groß die einzelnen Gruppen jeweils waren. Da die spanische Republik nicht nur von revolutionären, linken Kräften verteidigt wurde, sondern auch von Anhängern bürgerlicher Positionen und von loyalen Militärs, wäre eine Erörterung der Frage, inwieweit auch nicht-linke republikanische Positionen unter den KZ-Häftlingen vertreten waren, durchaus sinnvoll.

3.4 Exil

Nach der Haft, im französischen Exil, löste sich die angesprochene Einigkeit wieder auf. Das spiegelt sich in der Vielzahl der Überlebendenverbände, die im Exil gegründet wurden. Die FEDIP (Federación Española de Deportados e Internados Políticos) war der stärkste der Verbände. Die spanischen Kommunisten gründeten einen eigenen Verband, der sich mit der Linie des PCE (Partido Comunista de España) im Moskauer Exil auseinandersetzen musste, die den Überlebenden der KZs unterstellte, mit den Deutschen kollaboriert zu haben (vgl. S. 94).

Eine dem gegenüber versöhnliche Exil-Geschichte, die Meerwald aufgreift, spielt in München. Nicht alle befreiten spanischen Häftlinge gingen nach Frankreich. Einige verschlug es auch nach München. Dort im Nymphenburger Stadtschloss residierte damals die philanthropisch und karitativ eingestellte spanische Prinzessin María de la Paz von Bourbón und zu Borbón (verheiratet mit Ludwig Ferdinand von Bayern). Einige spanische Überlebende des KZ Dachau gingen auf sie zu mit der Bitte um Unterstützung, die ihnen auch gewährt wurde. Im Gegenzug reparierten die «Rotspanier» das bombengeschädigte Stadtschloss und fanden «ausgerechnet in der Münchener Residenz der Wittelsbacher eine neue Heimat» (S. 85). Nach dem Tod der 84-jährigen Infantin am 3.12.1946 endet diese denkwürdige Geschichte (vgl. S. 84-86).

4. Fazit ‒ Gegen das Vergessen

Das Buch füllt eine Lücke in der Forschung zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und liefert einen weiteren Mosaikstein für die historische Erinnerung an die Opfer der Franco-Diktatur, die Flucht, Internierungslager, Zwangsarbeit, KZ Dachau und Exil erlitten. Geschichtliches Faktenwissen und persönliche Aufzeichnungen der ehemaligen KZ-Häftlinge werden in der Arbeit so verwoben, dass einer Reduzierung der Häftlinge auf eine reine Opferrolle entgegengewirkt wird. Das gelingt zum einen dadurch, dass die Namen der Häftlinge nach Möglichkeit genannt werden und «den Stimmen der Verfolgten» (S. 14) über entsprechende Zitate Präsenz verschafft wird. Das gelingt zum anderen dadurch, dass die gesamte Odyssee betrachtet wird samt Vor- und Nachgeschichte der Haft im KZ. Das unterstützt die Charakterisierung der Häftlinge als handelnde Personen, die Erhebliches zur Verteidigung der III. Französischen Republik und im Widerstand gegen die sie bedrängenden Diktaturen geleistet haben.

Meerwald schreibt sachlich und detailreich. Vielleicht liegt es gerade daran, dass er auf Heroismus und Victimismo verzichtet, dass diese Geschichte heute noch berührt und als noch nicht abgegolten deutlich wird. Eine fast vergessene Episode aus dem «Jahrhundert der Lager» (Zygmunt Bauman) historisch zu vergegenwärtigen, bedeutet Anschlussmöglichkeiten in der Gegenwart zu eröffnen. Das leistet Meerwald mit der vorliegenden Studie.


Johannes Meerwald: Spanische Häftlinge in Dachau. Bürgerkrieg, KZ-Haft und Exil. Reihe: Kleine Reihe zur Geschichte und Wirkung des Holocaust; Bd. 4. Wallstein Verlag: Göttingen 2022, ISBN 978-3-8353-5320-6 (Oktober 2022)

Manuel Chaves Nogales: Ifni, Spaniens letztes koloniales Abenteuer

Reportage eines Meistererzählers, der dabei war

Rezension von Knud Böhle

Worum es geht

Der kupido Verlag hat sich vorgenommen, die Werke von Manuel Chaves Nogales (*Sevilla, August 1897, †London, Mai 1944) in einer auf sechzehn Bände angelegten deutschsprachigen Ausgabe herauszugeben. Das vorliegende Buch »Ifni, Spaniens letztes koloniales Abenteuer«, ist als Band 2 der Abteilung 1: Reportagen und Journale angezeigt. Ungeachtet dieser Zählung, handelt es sich um den ersten Band der Werkausgabe, der das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat. Die Abteilung 2 soll das erzählerische Werk umfassen.

In dem Buch werden zwei Reportagen erstmals auf Deutsch veröffentlicht, die mit der spanischen Kolonialpolitik in Nordwestafrika zur Zeit der Zweiten Republik (1931-1939) zu tun haben. Ursprünglich waren die Reportagen als Artikelfolgen, mit zahlreichen Fotos angereichert, im Jahr 1934 in der Madrider Tageszeitung AHORA erschienen. Sie adressierte die republikanische bürgerliche Mitte und erzielte eine Auflage von mehr als 100.000 Exemplaren. Manuel Chaves war Stellvertretender Direktor der besagten Zeitung. Als Publizist und Journalist war er damals prominent und hoch geschätzt. Er gehört zu den großen, lange Zeit weitgehend vergessenen, spanischen Autoren. Erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde er neu entdeckt. Heute ist er in Spanien weithin bekannt und berühmt. Seine Werke, die in unterschiedlichen Einzelausgaben und in zwei Gesamtausgaben auf dem Markt sind, werden gelesen und diskutiert.

In Deutschland ist der Autor noch kaum bekannt. Erst seit April 2022 findet sich ein Eintrag in der deutschen Wikipedia zu seinem Leben und Werk. Manuel Chaves gehört zur Extraklasse der »rasenden Reporter«, bei denen sich hoher Informationsgehalt mit außergewöhnlicher literarischer Qualität verbinden. Sein Stil ist geprägt von großer Klarheit der Sprache, Anschaulichkeit und originellen Vergleichen. Es schwingen mit: Witz, Augenzwinkern, Ironie und Understatement. Gelegentlich werden auch bloß Klischees bedient. Gleichzeitig sind die Reportagen durchzogen von spürbarer Empathie für Menschen, die das Schicksal gebeutelt hat. Die in der vorliegenden Besprechung verwendeten Zitate bieten Kostproben seines Stils.

In der ersten Reportage geht es um einen Fall bösartiger Desinformation. Monarchistisch und militaristisch gesinnte Kreise hatten das Gerücht verbreitet, es gäbe noch spanische Kriegsgefangene des Rif-Kriegs (1921-1926) in Marokko, die es zu befreien gelte. Die zweite, wesentlich umfangreichere Reportage handelt von der unblutigen und kampflosen Inbesitznahme der kleinen spanischen Kolonie namens Ifni.

Die erste Reportage wurde im Januar 1934 gedruckt, die zweite erschien in 13 Folgen in den Monaten April und Mai. Die beiden Reportagen aus Marokko sind nur lose verbunden. Die folgende Karte zeigt die kolonialen Besitzungen Spaniens und Frankreichs zu der Zeit.

Abb.1: Spanische Kolonial- und Protektoratsgebiete in Nordwestafrika, Ifni als kleine Enklave in Französisch-Marokko. Quelle: Wikimedia Commons

Zur Reportage über die »Gefangenen« des Rif-Krieges

In der Reportage vom Januar 1934 (9.-13.1.1934) sehen wir Manuel Chaves als investigativen Journalisten am Werk, der durch seine Recherchen ein immer wieder aufgewärmtes Gerücht als gezielte Desinformation entlarven will. Das Gerücht besagte, dass es noch immer um die 300 spanische Kriegsgefangene vor allem aus der Schlacht bei Annual gäbe, die es zu befreien gelte. Die Schlacht lag 1934 bereits mehr als 10 Jahre zurück. Damals, 1921, hatten sich im Norden Marokkos die Rif-Kabylen unter Abd el-Krim gegen die spanischen Kolonialherren erhoben und in jener Schlacht die spanische Armee verheerend geschlagen (ausführlicher dazu Reiner Tosstorff).

Seine Recherchen, die er in mehreren Artikeln an seine Zeitung kabelte, kamen zu dem Ergebnis, dass es in Marokko zwar eine ganze Reihe von Spaniern gab, die aus den unterschiedlichsten Gründen unter den Mauren lebten, etwa weil sie Abenteurer waren, den Kriegsdienst vermeiden wollten, aus dem spanischen Heer desertiert waren oder ihre Heimat aus wirtschaftlicher Not verlassen hatten, aber keine Gefangenen.

Die Spanier die wir »retten« können, werden überwiegend freiwillige Auswanderer sein, Abenteurer, Entwurzelte, Leute, die ihre Heimat verloren haben, Herumirrende, die ihr Schicksal in die Hand nahmen, ihr Glück fanden und sich irgendeinem Stamm im Inland anschlossen – völlig zwanglos. Sie heimzubringen würde ihnen übel mitspielen, sie wollen nicht »gerettet« werden (S. 29).

Das Schüren von Hoffnungen bei denen, die noch Angehörige und Freunde vermissten, wurde als zynisches Manöver bloßgestellt. Man darf vermuten, dass mit dieser Kampagne die republikanischen Regierungen von rechten militaristischen Kräften unter Druck gesetzt werden sollten, vielleicht auch mit dem impliziten Vorwurf, dass der Republik das Schicksal seiner Soldaten nicht genug am Herzen liege. Jedenfalls war das Thema offenbar so virulent, dass sich nicht zuletzt aufgrund der Recherchen von Manuel Chaves das spanische Parlament (Cortes) damit beschäftigen musste.

Für die deutschen Leser dürfte der Reiz dieser Reportage, geschrieben für ein spanisches Publikum in einem bestimmten historischen Moment, wohl kaum in ihrem ursprünglichen Zweck, der Entlarvung einer bestimmten Desinformationskampagne aus dem antirepublikanischem Spektrum, liegen. Gefallen mag indes, wie der Autor die Ergebnisse seiner Recherchen temperamentvoll und scharfzüngig, mit Witz und Ironie ausbreitet und dabei die Absurdität des Gerüchts aufzeigen kann. Inhaltlich interessant sind noch heute die Einblicke in die unterschiedlichen Motive, die viele Spanier bewogen hatten, sich nach Marokko aufzumachen und dort niederzulassen.

Zur Reportage über die Besetzung von Ifni

Im April 1934, und damit beginnt die zweite Reportage, reist Manuel Chaves in Begleitung von zwei Piloten und einem Fotografen erneut nach Marokko, um von der Besetzung Ifnis zu berichten.

Kurz zur Vorgeschichte: Spanische Anrechte auf die Enklaven Ceuta, Melilla und Ifni gehen bis in die Zeit der Katholischen Könige zurück. 1859/60, nach dem Spanisch-Marokkanischen Krieg, wurden die spanischen Ansprüche erneuert. Marokko sprach Spanien im Vertrag von Wad-Ras unter anderem auch ein kleines, vage definiertes Gebiet zu, das sich später als Ifni konkretisieren sollte. In den Abkommen der Jahre 1904 und 1911 zwischen Frankreich und Spanien über die Aufteilung Marokkos, wurde dieser Anspruch Spaniens bestätigt. Versuche, Ifni einzunehmen, die alle scheiterten, gab es schon 1911, 1919 und 1925. Ein weiterer Versuch, der ebenfalls scheiterte, und der von Manuel Chaves kurz erwähnt wird, fand 1933, also schon zur Zeit der Zweiten Republik statt. Auf der Karte (Abb.1 ) sieht man die kleine spanische Enklave in Marokko – umgeben von Französisch-Marokko. Die Fläche Ifnis war als 60 Kilometer langer und 25 Kilometer breiter Streifen Land festgelegt worden. Ein zentrales Motiv für die Besetzung lässt sich im Druck der Kolonialmacht Frankreich auf Spanien finden. Frankreich wollte Ifni nicht länger als unkontrolliertes Gebiete dulden, das von einheimischen Aufständischen als Rückzugsraum genutzt werden konnte. Auf spanischer Seite dürften außerdem Erwartungen steigender wirtschaftlicher und strategischer Bedeutung Westafrikas und nostalgische Träume einer absteigenden Kolonialmacht eine Rolle gespielt haben.

Zurück zur Reportage: Nach einem Zwischenstopp in Casablanca verliert das Flugzeug im Nebel die Orientierung und muss in der Gegend von Agadir notlanden, wobei das Fahrwerk zu Bruch geht. Nach der Bruchlandung kommen den Spaniern französische Soldaten zu Hilfe, die das Flugzeug abtransportieren. Manuel Chaves bleibt in Agadir, das zu Französisch-Marokko gehört, und versucht dort, die Weiterreise nach Ifni zu organisieren.

Er nutzt den erzwungenen Zwischenstopp einerseits dazu, die Frage nach den Kriegsgefangenen noch einmal vor Ort zu stellen. Soldaten spanischer Herkunft im französischen Militärdienst, mit denen er ins Gespräch kommt, versichern ihm, dass es auch auf französischem Gebiet keine spanischen Kriegsgefangenen gebe.

Zum anderen nutzt er den Aufenthalt, um Überlegungen über die feinen und weniger feinen Unterschiede zwischen französischer und spanischer Kolonialismuspraxis anzustellen. Dabei kann er auch die Frage, was die Spanier, die es nach Marokko verschlagen hatte, eigentlich dort machten, weiter erörtern. Er hält fest, dass sich die Franzosen bei ihrer Kolonisierung auf die Verwaltung der eroberten Gebiete beschränken, und fragt dann:

An wem bleibt also die Arbeit hängen? An den Spaniern, diesen unglückseligen Männern aus Oran, den genügsamen Andalusiern, den kühnen Levantinern, die sich – von der Heimat vergessen – auf den Routen Afrikas die Füße wund laufen und eine bewundernswerte Kolonisationsarbeit leisten, die ganz Frankreich mit Stolz erfüllt.
[…]
Ihrer Unternehmungslust verdanken viele Tausend spanische Schmiede, Schreiner und Maler die Arbeit, die wir ihnen nicht geben konnten, zudem schätzen die französischen Arbeitsvermittler ihre Fähigkeiten (S.68f.).

Nach dem Zwischenaufenthalt in Agadir, begibt sich Manuel Chaves auf schnellstem Weg nach Ifni. Da der Seeweg nach Ifni zu gefährlich und der Landweg durch französisches Gebiet noch nicht freigegeben ist, nimmt er schließlich ein Flugzeug, das ihn nach Kap Juby bringt, und von dort lässt er sich von einer Militärmaschine nach Ifni fliegen. Am 20. oder 21. April 1934 dürfte er dort eingetroffen sein. Die eigentliche Besitznahme des Territoriums hatte schon am 5. April begonnen.

Da sich die Landung der spanischen Truppen, die sich auf zwei Kriegsschiffen befanden, an der zerklüfteten Küste als schwierig erwiesen hatte, bestand die Einheit, die Ifni in Besitz nahm, einzig aus dem Oberst Oswaldo Capaz, seinem Adjutanten, dem Leutnant Emilio Lorenzi, und einem Matrosen. Sie wurden am Strand von etwa hundert Einheimischen erwartet, die sie in die Siedlung Sidi Ifni begleiteten (»drei oder vier Häuser, wenn man diese Schutzwälle ohne Dach denn Häuser nennen kann«, S. 70), und zu einem Begrüßungsessen eingeladen. Zu den Aktivitäten der ersten Tage der Inbesitznahme gehörte auch, die Steine von einem Platz am Rande der Siedlung wegzuräumen, um eine Landebahn für Flugzeuge zu schaffen. Ein Kabyle wird von Oberst Capaz zum »Chef des Aerodroms« (S. 73, 76) ernannt. Andere Kabylen werden zu Soldaten Spaniens erkoren, die dem Oberst direkt zugeordnet sind.

Da Manuel Chaves in dieser Phase der Besetzung Ifnis selbst nicht dabei war, verarbeitet er für die Schilderung der ersten Tage, das was er von Leutnant Lorenzi erfährt. Vielen Lesern wird es allerdings so vorkommen, als erführen sie alles aus erster Hand.

Als Manuel Chaves in Ifni ankommt, kann er beobachten, wie 70 kriegstüchtige Männer ausgewählt und zu einer einheimischen Schutztruppe geformt werden. Der Oberst motiviert diese »Bauerntruppe« (S. 93) damit, dass sie keine spanischen Söldner seien, sondern spanische Bürger, die fortan als »Guardia Civil« für den Schutz der Bevölkerung von Ifni zu sorgen hätten (S. 92f.).

Manuel Chaves ist von der Tatkraft des charismatischen Oberst außerordentlich angetan und vergleicht ihn mit Robinson:

Und Capaz, man muss es erwähnen, auch wenn es ihm nicht gefallen dürfte, hat sich mit der Kolonialisierung Ifnis so ans Werk gemacht, wie Robinson auf den Juan-Fernández-Inseln (S. 73).

In der Absicht, die Kolonisierung mitzuerleben, schließt sich Manuel Chaves mit Erlaubnis des Oberst der Truppe an, die den Auftrag hat, den südlichen Teil der Enklave zu besetzen. Nachdem die Kolonne an der Grenze zur französischen Zone Posten eingerichtet und die Flagge der spanischen Republik auf einigen der verfallenen Festungen gehisst hat, ist die Eroberung von Ifni abgeschlossen, »ohne dass ein einziger Schuss erforderlich gewesen wäre« (S. 97), und vor allem ohne die Unterstützung des größten Teils der Truppen, die nach wie vor nicht anlanden können und auf den beiden Kriegsschiffen vor der Küste festsitzen.

In der Hoffnung, dass die Spanier in Zukunft die Überfälle der Nomaden aus der Wüste verhindern würden, sind die Mitglieder der sesshaften Berberstämme bereit, ihre Gewehre abzuliefern. Auch die Nomaden müssen ihre Waffen künftig an der Grenze abgeben und bekommen sie erst bei der Rückkehr in die Wüste wieder ausgehändigt. Durch das Gewaltmonopol der Spanier, das klingt als Erwartung ebenfalls an, sollten sich auch Blutfehden zwischen den Stämmen besser einhegen lassen. Da Ifni spanisches Territorium ist, erhalten seine Bewohner auch die spanische Staatsbürgerschaft (in welchem Grad auch immer). Aus diesen Gründen können die sesshaften Stämme der Aït-ben-Amara, die auf dem Gebiet Ifnis siedeln, der Kolonialherrschaft offenbar etwas abgewinnen.

Abb. 2: Oswaldo Capaz, Manuel Chaves und möglicherweise Emilio Lorenzi in Ifni neben den von der einheimischen Bevölkerung abgegebenen Gewehren. Foto: Contreras, der für AHORA tätige Fotograf. Quelle: Webseite des spanischen Senders lasexta mit einem Beitrag vom 8.12.2020 über Chaves Nogales. In dem hier besprochenen Buch wird das Foto über zwei Seiten präsentiert, S. 106-107.

Manuel Chaves führt Gespräche, beobachtet und beschreibt dann in kleinen Geschichten mit anekdotischem Appeal Bräuche der Einheimischen, Formen der Gastfreundschaft, die politische Organisation der Kabylen, ihre Wirtschaftsweise, die Stellung der Frau, die Spannungen mit den Franzosen im Grenzgebiet, das Verhältnis der sesshaften Stämme zu den Nomaden; und immer wieder erzählt er auch von berührenden Schicksalen wie dem der »Bettler der Wüste«, wie der folgende Auszug exemplarisch zeigt.

Im Grenzgebiet von Ifni, die Soldaten haben ihr Nachtlager bereits aufgeschlagen, treibt ihn die Neugier in die Pilgerherberge:

Dort in einer Ecke sehr zusammenkauernd, in einer festen Umarmung eng umschlungen, lagern drei Männer, drei danteske Figuren, drei Ausgeburten eines Albtraums: Ein Greis, ein Mann und ein Kind, dürr wie ein Skelett, fast nackt, mit Gesichtszügen, welche Hunger und Unbarmherzigkeit zu Fratzen verzerrt haben, auf ewig leidend; einer von ihnen, der Mann, ist mit Blindheit geschlagen, mit dieser entsetzlichen Blindheit offener und beweglicher Augen; die anderen haben Augen wie Halluzinierende.

Sie sind »Bettler der Wüste«, werde ich informiert […] Ein wenig Fakir, ein wenig Bettler, und immer Geschichtenerzähler in einer Person, kreuzen diese erstaunlichen Kreaturen, die die menschlichen Bedürfnisse auf ein Minimum reduziert haben, von Norden nach Süden und von Osten nach Westen überall in der Wüste auf, ganz unempfindlich gegen alles, gegen die Sonne, sogar den Hunger, Durst und Kälte. Irgendwann sterben sie einfach, und Dünen werden ihre ausgedörrten Knochen überspülen wie Wellen (S. 100f.).

Das Ziel der Reise des Journalisten geht aber über das Sammeln von Geschichten hinaus. Er will sich ein Urteil über die Besetzung Ifnis und die kolonialen Besitzungen Spaniens in Afrika bilden. Offensichtlich hatte sich Spanien ja erst, nachdem es seine umfangreichen überseeischen Besitzungen verloren hatte, dem lange verschmähten »kolonialen Überrest« in der Sahara zugewendet. Wie Manuel Chaves gleich eingangs seiner Zeitungsreportage süffisant anmerkt, verhält es sich dabei wie mit den wertvollen Dingen einer reichen Familie, die ausrangiert auf dem Dachboden verstauben bis die Familie verarmt und sich fragt, ob die Kinder nicht noch irgendetwas von diesem alten Gerümpel brauchen oder wenigstens versilbern könnten.

Und die Republik, dieses aufrechte Geschlecht der Mittelklasse, die sich den Luxus vergessener Kostbarkeiten auf dem Dachboden nicht leisten kann, findet nun diesen kolonialen Überrest
[…]
Das Leben ist hart; man muss aus allem seinen Nutzen ziehen und den unbrauchbaren Rest versilbern. Diese Abwägung, ob abgelegtes altes Gerümpel zu verwerten oder zu liquidieren ist, ist der wirkliche Kern unserer letzten kolonialen Unternehmung, die wir mit der Besetzung Ifnis in Angriff genommen haben. Die umsichtigen Gegner kolonialer Abenteuer mögen sich bitte nicht gleich aufregen (S. 59).

In den folgenden Wochen überzeugt sich der Journalist in den Gesprächen mit den Kaïds der Berberstämme davon, wie bereits angeführt, dass die Bewohner von Ifni die Anwesenheit der Spanier durchaus begrüßten. Und er kommt zu dem Ergebnis:

Ich weiß nur, dass wir, indem wir Spaniens Symbol gehisst haben, hier ein weit sichtbares Signal des Friedens gesetzt und die Hoffnung auf Wohlstand unter diesen armen, hungrigen Bauern Ifnis geweckt haben. Und das ist gut so (S. 110).

Es wäre falsch, Manuel Chaves deshalb gleich in die Ecke des paternalistischen Kolonialisten zu stellen. Seine Einstellung zum spanischen Kolonialismus und der Kolonialpolitik der Republik ist komplexer und ohne Frage ambivalent. Es versteht sich, dass er nicht zur anti-kolonialistischen politischen Linken gehört und nicht prinzipiell gegen jede Kolonialpolitik ist. Was er konkret in Ifni als Möglichkeit gesehen hat, hat ihm offenkundig gefallen.

Er bleibt jedoch weiterhin skeptisch und zweifelt stark daran, dass die spanische Politik und die spanische Administration in der Lage und willens wären, die Voraussetzungen einer auskömmlichen Entwicklung in ihrem Kolonialgebiet auf Dauer zu stellen. Ein Erfordenis für die Versorgung der Enklave wäre etwa die Einrichtung einer regelmäßigen und zuverlässigen Flugverbindung zwischen Spanien und der Kolonie; ein anderes Erfordernis wäre der Bau eines Hafens, was aufgrund der widrigen Bedingungen an dieser Küste extrem teuer wäre.

Er reflektiert außerdem, dass das Wohl und Wehe von Ifni mit der Befriedung der Westsahara zusammenhängt. Eine dauerhafte Befriedung dieses Gebiets würde aus seiner Sicht nur zu erreichten sein, wenn den Spaniern die »Unterwerfung der Nomadenfürsten« (S. 118) in der Westsahara gelänge. Dazu wäre es vorab nötig, eine Landverbindung durch französisches Protektoratsgebiet von Ifni nach Kap Juby herzustellen. Das wiederum setzte aber voraus, dass zuvor die Franzosen die Nomaden und Aufständischen in diesem Gebiet unter ihre Kontrolle brächten. Angesichts der zahlreichen Hindernisse und Unwägbarkeiten, bleibt es für Manuel Chaves weiterhin eine politische Option, sich von den kolonialen Unternehmungen in Marokko ganz zu verabschieden.

Die Antwort auf die Ausgangsfrage vom Beginn seiner Reise, nach dem Nutzen der Besetzung Ifnis für die spanische Republik, fällt am Ende wenig überzeugend aus. Auf seiner Expedition ins Innere der Kolonie hat er fruchtbare Landstriche gesehen, und verbindet damit Chancen gewinnbringender Kolonialisierung (S. 114). Diese »Flecken fruchtbarer Erde für Spanien zu retten« sei das einzige »wofür sich der ganze kolonialistische Aufwand, Ifni zu besetzen, vielleicht lohnt« (S. 114). Eine gründliche Erörterung anderer möglicher Vorteile der Kolonialisierung findet nicht statt. Nur hier und da scheinen, verstreut über die 13 Teile der Reportage, andere Zwecke und Nutzenaspekte auf (z.B. Bodenschätze, Fischereirechte, Absicherung der Kanarischen Inseln, Bedeutung für die Luftfahrt, für das Transportwesen oder der militärische Nutzen). Für diese Zurückhaltung mag sein Status als quasi embedded journalist, der für eine regierungsnahe Tageszeitung schreibt, eine gewisse Rolle gespielt haben. Vielmehr aber dürfte es mit einer unausgesprochenen Maxime seines Schreibens zu tun haben: nur über das zu schreiben, was er selbst gesehen und erlebt hat, und sich zu verbieten, es im Licht von Theorien, Ideologien und Strategien zu deuten. Augenzeugenschaft als Leitprinzip der Reportage und die darauf fußende Unmittelbarkeit der Berichterstattung tragen maßgeblich zur anhaltenden Frische dieses über 85 Jahre alten Textes bei.

Vorzüge und Mängel der Edition

Die Übersetzung trifft den richtigen Ton, und die Buchgestaltung würde, ohne wenn und aber, einen vorderen Platz unter den »schönsten Deutschen Büchern« verdienen. Da stimmt alles: von der Papierqualität, über den türkisen Halbleineneinband, das leuchtend blaue Lesebändchen, den Satz bis zum Layout mit ansprechender Integration des Fotomaterials.

Wenn der Verlag nur auf ein Publikum von intimen Kennern spanischer Geschichte und Literatur aus wäre, könnte die Besprechung hier mit einem Dank enden. Wäre das Ziel jedoch, ein breiteres deutsches Publikum zu erreichen, wäre ein historisch informierender und orientierenden Text wünschenswert, der Kontexte herstellte und erläuterte, was die Lektüre dieser alten Zeitungsreportagen heute inhaltlich noch lohnt. Die hochgestochene »Einführung zur ersten deutschen Ausgabe« (S. 7-15) des Frank Henseleit – Verleger, Herausgeber und Übersetzer des Buches –, leistet dies nicht. Zur Person des Manuel Chaves Nogales erfährt man zwar einiges, aber zum Kontext der zentralen Reportage, der Besetzung Ifnis, praktisch nichts. Es findet sich nicht einmal eine Karte des spanischen Kolonialgebiets in Nordwestafrika, der man Lage und Ausdehnung Ifnis entnehmen könnte.

Eine Frage, die sich heutigen Lesern und Leserinnen bei der Lektüre aufdrängt, ist zweifelsohne, was aus Ifni nach der Besetzung 1934 wurde. Diese Frage mag mit einschließen, was aus den Personen wurde, mit denen Manuel Chaves in Marokko zu tun hatte. Eine historisch gut informierte Einleitung (oder ein entsprechendes Nachwort) hätte deshalb nicht nur die Vorgeschichte der Besetzung von Ifni anzusprechen, sondern die Geschichte Ifnis von der Besetzung bis zur Gegenwart wenigstens in Umrissen aufzuzeigen.

Ein erstes Kapitel der Geschichte Ifnis als spanischer Kolonie nach 1934 weist auf das Ende der Zweiten Republik. Der von den in Afrika stationierten spanischen hohen Militärs, den Africanistas, maßgeblich organisierte Putsch gegen die Republik, und der vom Einsatz des Afrika-Heers (nach Schätzungen 80.000 Soldaten) maßgeblich beeinflusste Sieg Francos im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939), gehören in dieses Kapitel.

In einem weiteren Kapitel wäre von der schleppenden Dekolonisierung Marokkos nach 1945 zu sprechen. 1957/58 kam es zum Ifni-Krieg, der im April 1958 durch ein Abkommen zwischen Spanien und Marokko beendet wurde. Der Kap Juby Streifen wurde damals unabhängig, die Kolonie Ifni wurde auf die Stadtregion Sidi Ifni reduziert. Die verkleinerte Kolonie und die Westsahara blieben jedoch weiter unter Spaniens Kontrolle. Ifni erhielt 1958 den Status einer spanischen Provinz. Das Franco-Regime begann nun in einer Art Angstblüte, wie das letzte Austreiben einer absterbenden Pflanze genannt wird, massiv in Ifni zu investieren. Erst auf internationalen Druck hin (UN-Resolution 1514 von 1960, UN-Resolution 2072 von 1965) trat Spanien Ifni am 30. Juni 1969 schließlich an Marokko ab. Bis zum Rückzug der Spanier aus der Westsahara dauerte es noch bis 1976. Der Konflikt um die Westsahara zwischen Marokko und den Sahrauis ist bekanntlich noch immer nicht gelöst. Die UNO sieht die Westsahara weiterhin als »nicht entkolonialisiertes Gebiet«.

Diese Wandlungen Ifnis und des spanischen Kolonialgebiets in Nordwestafrika zu kennen, verändert den Blick auf die Reportage über Ifni, das 1934 fast wie eine koloniale Idylle anmutete, und ist wichtig, um einen Gegenwartsbezug herzustellen.

Es gibt noch eine zweite Ebene, auf der eine historische Einbettung oder Kontextualisierung der Reportage der Lektüre zugute käme. Die Reportagen von Manuel Chaves sind inzwischen selbst historische Quellen und wären es wert, vom Stand der heutigen Geschichtswissenschaft aus beurteilt und erläutert zu werden. Stimmt alles, was uns der Reporter erzählt? Welche Informationen über die Besetzung Ifnis, über die Historiker heute verfügen, standen ihm damals noch nicht zur Verfügung? Welche Informationen ließ er bewusst außen vor, weil sie nicht zu seiner Art Reportage passten? Welches zum Verständnis von Anspielungen und Sottisen nötige Wissen konnte er 1934 bei seinen spanischen Lesern und Leserinnen voraussetzen?

Kurzum: Je mehr die Leser über die spanischen Kolonialpolitik und -geschichte erführen und je mehr sie an Informationen über die Vorgeschichte, die Besetzung und die weitere Entwicklung der kleinen Kolonie Ifni erhielten, um so lohnender dürfte die Lektüre der Reportage sein, und umso deutlicher würde auch die besondere Qualität des Meistererzählers Manuel Chaves Nogales hervortreten, der dabei war.

Literaturhinweise

Spanische Ausgaben der Reportagen

  • Manuel Chaves Nogales: Ifni, la última aventura colonial española. Almuzara: Córdoba 2012 [Diese Ausgabe basiert auf dem Text der 2001 veröffentlichten Werkausgabe, Band 1].
  • Manuel Chaves Nogales: Los desaparecidos en la catástrofe de Annual. In: Obra Completa, Band III (1931-1936), hrsg. v. Ignacio F. Garmendia, Barcelona: Libros del Asteroide, S. 433-449
  • Manuel Chaves Nogales: Nuestra última empresa colonial. In: Obra Completa, Band III (1931-1936), hrsg. v. Ignacio F. Garmendia, Barcelona: Libros del Asteroide, S. 451-525
  • Online: Die Biblioteca Digital Memoria de Madrid ist ein Onlineangebot, das es ermöglicht, die Originalreportagen von Chaves Nogales samt Bildmaterial wie sie in der Zeitung AHORA abgedruckt wurden, faksimiliert abzurufen. [zuletzt überprüft am 22.04.2022]

Geschichtliches zu Ifni und den spanischen Kolonien in Nordwestafrika

  • De Madariaga, María Rosa: Los moros que trajo Franco. Alianza Editorial: Madrid 2015
  • De la Mata, Javier Ramiro: Los prisioneros españoles cautivos de Abd-el-Krim: Un legado del desastre de Annual. In: Anales de Historia Contemporánea, Vol. 18 (2002), S. 343-354. Online verfügbar: [zuletzt überprüft am 22.04.2022]
  • Doppelbauer, Max: Sidi Ifni. Spanische Kolonie vom 6. April 1934 bis 30. Juni 1969. In: europa ethnica, 2014, Bd. 71, S. 36-39
  • Hart, Montgomery David: The Ait Ba ‚Amran of Ifni: an ethnographic survey. In: Revue de l’Occident musulman et de la Méditerranée, n°15-16, 1973. Mélanges Le Tourneau. II., 1973, S. 61-74. Online verfügbar: [zuletzt überprüft am 22.04.2022]
  • Martínez-Milán, Jesús: Sidi Ifni en el contexto del colonialismo español en el sur de Marruecos, 1912-1956. Hespéris tamuda / Université Mohammed V., Faculté des lettres et des sciences humaines. XLVI, 2011, S. 39-64. Online verfügbar: [zuletzt überprüft am 22.04.2022]
  • Quintana-Navarro, Francisco: La ocupación de Ifni (1934): Acotaciones a un capítulo de la política africanista de la 2ª República. In: Víctor Morales Lezcano (coord.): II Aula Canarias y el Noroeste de África. Madrid, Cabildo Insular de Gran Canaria, 1988, S. 97-124. Online verfügbar: [zuletzt überprüft am 22.04.2022]
  • Tosstorff, Reiner: Aufstand der Rifkabylen gegen die spanische Kolonialherrschaft. Ein Gespräch mit Reiner Tosstorff von Armin Osmanovic, Rosa Luxemburg Stiftung, 2021. Online verfügbar: [zuletzt überprüft am 22.04.2022]

Manuel Chaves Nogales: Ifni, Spaniens letztes koloniale Abenteuer. Köln: Kupido Verlag 2021, ISBN 978-3-96675-035-6

Harald Bodenschatz y Max Welch Guerra (eds.): Städtebau als Kreuzzug Francos | El urbanismo como cruzada de Franco

Acerca de un pilar del franquismo: el urbanismo en España, instrumento deliberadamente orquestado de dominación política

Reseña de Knud Böhle (Spanienecho de 25.06.2021), traducción de Pascual Riesco Chueca (Spanienecho de 11.04.2022)

1. Introducción

Uwe Altrock (Universidad de Kassel), Harald Bodenschatz (TU Berlin y Bauhaus-Universität Wei­mar), Jean-François Lejeune (Universidad de Miami), Piero Sassi (coordinador; Bauhaus-Universi­tät Weimar) y Max Welch Guerra (Bauhaus-Universität Weimar) son los autores de un volumen de gran formato (30 cm x 24 cm), complementado con 570 figuras, en que se contempla el urbanismo de los primeros veinte años de la dictadura de Franco (1938–1959).

Los prestigiosos autores abarcan conjuntamente un amplio espectro de especialidades, entre las cuales destacan arquitectura, historia de la arquitectura, ordenación urbana y del territorio, así como ciencia política, planificación y sociología de la arquitectura. El presente estudio suma su aportación a la investigación sobre el urbanismo de las dictaduras europeas. En años recientes, han aparecido trabajos en la misma línea, aplicados a Alemania, Unión Soviética, Italia y Portugal.

El volumen, que combina texto e imágenes, resulta imponente por la mera abundancia de su material gráfico, de expresivas leyendas. Para su compilación, se acudió a numerosas fuentes, entre ellas las colecciones de los autores. Además de fotos de solares, edificios, ciudades y estatuas, se incluyen vistas panorámicas, planos, esbozos, folletos, carteles, fotogramas de películas y otros materiales. Pero las pretensiones de la obra superan con creces, como es evidente, los límites de un simple libro de ilustraciones.

2. Ambiciones del estudio

Dos postulados ocupan un lugar central para la especificación y alcance del presente estudio. La primera hipótesis sostiene que los protagonistas de la dictadura franquista vieron desde el primer momento que el urbanismo era «un medio efectivo de dominación» (pp. 27, 342), que supieron explotar «con objetivos políticos» (p. 29). La segunda hipótesis defiende que durante los primeros veinte años de la dictadura existió «una política propia y diferenciada de urbanismo» (p. 31), mientras que, a partir de 1960, el régimen se adaptó a las directrices del «movimiento moderno de posguerra en Europa Occidental» (p. 344). Esta doble teorización faculta a los autores para desvelar las formas y funciones del urbanismo en su relación cambiante con la configuración política, ideológica y social de esta fase del franquismo.

La presente reseña se centrará principalmente en la primera hipótesis. En cuanto a la segunda, no podrá abordarse aquí su evaluación crítica, que exigiría una comprensión especializada de las scientific communities dedicadas al urbanismo. Existe material gráfico adicional en las páginas de internet de la editorial, que permite a la vez adquirir una impresión general sobre la configuración del libro.

Es importante para situar y encuadrar la presente publicación señalar que fue concebida «teniendo en mente el público germanoparlante». Ello implica, entre otras cosas, que en varios pasajes se tienden puentes al urbanismo alemán, tales como la referencia al influjo de destacados arquitectos alemanes, por ejemplo, Hermann Jansen, Paul Bonatz y Otto Bartning. Hay que tener presente como trasfondo general un «un activo intercambio hispanoalemán iniciado hace años entre profesionales del gremio» (p. 79).

Por otra parte, los autores optan por un acercamiento temático que se aparta del habitual en España, al que se describe como «centrado en los arquitectos» (p. 37). En contraste con ello, se insiste aquí en lo urbanístico, que es encuadrado en el marco de la ordenación urbana que se hacía en Europa en las dictaduras europeas que habían conquistado el poder al comienzo del franquismo.

3. Estructuración del estudio

El volumen está cuidadosamente compuesto y didácticamente organizado. Como obertura inicial, se dispone una serie de veinte páginas con fotografías, en las que se despliegan a modo de ejemplo los fenómenos principales del urbanismo, que serán tratados luego. Al final del libro se ofrece también un tramo ilustrado, que se dedica principalmente a recordar la historia y a describir la política contemporánea de relación con el legado construido. El capítulo que se añade al primer cuerpo de fotos tiene carácter introductorio: resume la dictadura franquista, y revisa el estado de la investigación y las premisas del libro.

El capítulo siguiente puede entenderse como una introducción avanzada, con elementos auxiliares para un público alemán. Mediante la comparación de dos grandes exposiciones celebradas en Madrid en 1942 ―«Arquitectura Moderna Alemana», «Trabajos de la Dirección General de Arquitectura»―, se muestran las respectivas orientaciones de la propaganda urbanística y otros objetivos asignados al urbanismo. A la Alemania nazi no le ha llegado aún la derrota de Estalingrado ni la destrucción de sus ciudades; mientras que, en España, ya se trata de reconstruir los paisajes urbanos devastados por la guerra, ampliar la oferta de viviendas y ―objetivo sin duda no secundario― glorificar mediante obras la victoria.

Los capítulos subsiguientes amplian y detallan el material: los temas abordados, por su variedad, podrían sorprender si nos atenemos rutinariamente a las palabras claves franquismo-urbanismo. Se investigan en efecto ocho campos de acción urbanística, que mencionaremos en esquema: (1) la reconstrucción de lugares devastados por la guerra; (2) la renovación y ampliación del centro de Madrid y la reconfiguración de su región metropolitana; (3) la reurbanización de la ciudad vieja y la construcción de la ciudad industrial en Barcelona y su área; (4) las «Universidades laborales: ciudades universitarias de nuevo cuño»; (5) la renovación de los cascos antiguos; (6) la colonización del interior: pueblos de nueva planta, infraestructura hidráulica; (7) el urbanismo de las colonias españolas en el África noroccidental; (8) el Valle de los Caídos, «pieza clave del urbanismo franquista» (pp. 322 ss.).

Sobre las universidades laborales cabe indicar que no se trataba de universidades ni de escuelas profesionales en el sentido habitual en Alemania, sino de «instituciones totales», como diría el sociólogo Erving Goffman. En ellas se conjugaba el internado, el adoctrinamiento ideológico por la Falange y la Iglesia, con el bachillerato y la formación profesional, para la instrucción de gente fiel al régimen. Inicialmente, algunas instalaciones, aspirando a la autarquía, incluían medios para la producción agrícola.

En la mayoría de los capítulos se perfilan los rasgos característicos del urbanismo acudiendo a ejemplos destacados, que se eligen con vistas a exhibir la diversidad constructiva en juego. Así, en lo tocante a reconstrucciones, se investiga con cuidado el caso de las ciudades de Brunete, Guernica y Belchite, destruidas durante la guerra. En cuanto a las universidades laborales, de los 21 ejemplos disponibles del tipo, son dos, las de Gijón y Córdoba, los que serán objeto de una atención más detallada, sin excluir el resto. En el capítulo de la renovación de cascos viejos se recogen los ejemplos de Zaragoza, Salamanca, Santander, Santillana del Mar y Granada.

El capítulo final reúne en unas pocas páginas (pp. 340-351) las enseñanzas principales derivadas de los capítulos anteriores, más bien descriptivos; este contenido queda integrado en una panorámica de conjunto sobre las formas y funciones del urbanismo en el primer franquismo (1939-1959). Los ocho anejos consiguen aligerar el texto principal y adecuarlo para una lectura más relajada. Se ofrecen datos biográfios sobre los expertos en el urbanismo de este periodo citados en el texto; se presentan los decretos, reglamentos y leyes de ordenación urbanística; se relacionan los archivos y colecciones de los que procede el material gráfico; como cabe esperar, hay una bibliografía y un registro onomástico. En el último anejo se ofrecen semblanzas de los redactores del estudio. Puede consultarse un detallado índice de contenidos del libro en la página de la Biblioteca Nacional Alemana.

4. Destinatarios del estudio

En esquema cabe discernir cuatro grupos destinatarios o campos de interés a los que el libro interesará. Por un lado, arquitectos, historiadores de la arquitectura, planificadores urbanos, expertos en ordenación territorial: a todos ellos les despertará interés este pasaje, poco atendido en muchas de sus facetas, de la historia del urbanismo europeo. Particularmente, los capítulos sobre la reconstrucción de posguerra, las universidades laborales, la colonización del interior, y el urbanismo de los territorios de colonias en África noroccidental dirigen la atención a campos temáticos que la investigación ha venido desatendiendo hasta ahora.

El libro es también de sumo interés para especialistas en historia contemporánea y otros científicos sociales que analizan el franquismo en tanto que sistema de dominación. El tema del urbanismo en su uso como mecanismo de poder abre puertas a una dimensión generalmente poco abordada. Por otro lado, el libro ofrece ingredientes para una discusión tan actual como la de la memoria histórica en España. Se trata de plantear en su conjunto el debate sobre qué hacer con el legado constructivo de la dictadura (con opciones tan diversas como la demolición, la transformación, la reconstrucción, el olvido, la represión, la reinterpretación o la glorificación, cf. p. 38): un debate que alcanza al completo legado de Franco y no solo al conocido y polémico Valle de los Caídos.

Por último, el libro ofrece materiales inesperados a potenciales turistas por los campos y ciudades españolas interesados por el urbanismo. Pocos sabrán que el célebre Barrio Gótico de Barcelona, tal como se ofrece hoy día al visitante, fue configurado esencialmente durante la primera mitad de la dictarura; o que el arquitecto Otto Bartning, conocido por sus vínculos con la Werkbund y la Bauhaus alemanas, construyó en Barcelona una iglesia para la comunidad evangélica alemana, de simpatías pronazis; o que el complejo eclesiástico erigido en Zaragoza en 1945 San Antonio de Padua, con iglesia, convento y torre-mausoleo esconde una historia singular. En la torre descansan los restos mortales de unos 3.000 italianos que lucharon contra la República durante la guerra civil; pero, por añadidura, la torre fue y sigue siendo un frecuentado lugar de bodas italianas (cf. p. 353). Asimismo, el detallado capítulo sobre la historia urbana de Madrid y Zaragoza, o el recorrido por los nuevos pueblos de colonización, podrían inspirar a ciertos turistas con curiosidad por estos aspectos. Por supuesto, constituyen un nítido estímulo para la visita al lugar las informaciones sobre la reconstrucción de Guernica / Gernika, así como la infausta historia previa, incluida la destrucción de la ciudad ―con significativa participación alemana a manos de la Legión Cóndor―, y la secuela de monumentos conmemorativos por el lado español y alemán.

5. Rasgos del primer franquismo (1938-1959)

Para adentrarse en el urbanismo del franquismo primero (1938-1959), conviene conocer algunas características de la dictadura. Este fondo informativo es presentado por los autores, de forma concisa, en la introducción. Se expondrán aquí algunos rasgos de esta etapa, siguiendo en lo esencial el esquema de los autores.

No cabe duda de que la dictadura se apoyó en el poder del ejército, la iglesia, los monárquicos y la Falange, contando con la benevolencia de los terratenientes y la oligarquía industrial y financiera (p. 31). La dictadura pretendía ser algo más que una restauración. Desde finales del siglo xix la necesaria reforma de España era enfocada, específicamente en lo económico, bajo el prisma del regeneracionismo. Tal conciencia del problema fue compartida por el franquismo y todos los régimenes anteriores del siglo xx. En el franquismo inicial fue la Falange, cuyo inspirador principal era el fascismo italiano, la que imprimió un sello más marcado sobre la política de desarrollo.

La dictadura, surgida del golpe militar y la guerra civil, impuso una despiadada distinción entre vencedores y vencidos hasta finales de los años 50, perpetuando sus campos. No solo estaban los derrotados y estigmatizados perdedores republicanos, por un lado, y los condecorados vencedores, por el otro, incluyendo un séquito de actores convencidos y ventajistas directos. Había también muchas personas que, en un clima de carencias materiales y represión, procuraban asegurarse el pan de cada día o mejorar su situación. De ahí que no escasearan quienes se veían obligados a aceptar las ofertas de integración social provenientes del lado vencedor. Es el caso de no pocos arquitectos. Pero el vasallaje y lealtad exigidos por el régimen no eran necesariamente incompatibles con cierto rechazo hacia la dictadura. Como se indica en otra reseña de Spanienecho, «había mucho antifranquismo dentro del franquismo», fórmula que también cabe aplicar a algunos arquitectos (véase a propósito de ello la referencia en este estudio a las distancias que el colegio de arquitectos de Catalonia mantuvo con respecto a la dictadura de Franco, en p. 192).

En el plano ideológico dominaron durante esta etapa, hasta 1959, el nacionalsindicalismo y el nacionalcatolicismo. Sin entrar en detalles, ambas corrientes compartían un enfático nacionalismo, un pensamiento ordenancista, antiparlamentario, jerárquico y estamental, una exaltación del esplendor histórico pasado y del ámbito rural (por oposición a la ciudad). Compartían asimismo la radicalidad maniquea de sus modos de pensar y obrar, tanto durante la guerra como en las dos décadas subsiguientes.

El discurso nacionalsindicalista esta intensamente impregnado de ideas fascistas. Ello conllevaba cierto reconocimiento de la cuestión social, los intereses de los trabajadores (leales) y la necesidad de una intervención económica del estado, con predilección por los grandes proyectos, en los que se aunaba una explotación premoderna de la masa trabajadora con un afán de reforma infraestructural. Por su lado, el nacionalcatolicismo era un fundamentalismo orientado al pasado, cuya voluntad era revertir la separación entre iglesia y estado, estableciendo un estado confesional, cosa que el primer franquismo logró de hecho conseguir.

En la esfera lingüística tuvo especial vigencia un surtido metafórico de carácter católico y reaccionario: la guerra civil se convirtió en cruzada, el dictador fue investido de gracia divina, y a los adversarios se les satanizó con baldones como anticristo, antipatria y antiespaña. En esta construcción ideológica de la historia, por poner un ejemplo relevante para el urbanismo, la explotación mediante trabajos forzados se mutó en «redención de penas por el trabajo». La corporación que gobernaba el trabajo forzado, que se encontraba integrada en el Ministerio de Justicia, recibía el pomposo nombre (desde 1942, cf. p. 327) de Patronato Cen­tral de Nuestra Señora de la Merced para la Redención de las Pen­as por el Trabajo. Después de 1945, al terminar la guerra mundial e iniciarse la Guerra Fría, dejaron de ser presentables ―sobre todo en la esfera internacional― los nacionalsocialistas y su ideología, pero conservaron en el interior, durante largos años, un considerable influjo sobre la política salarial, así como la de desarrollo y poblamiento.

6. Problemas urbanísticos y soluciones ideológicamente saturadas

Afrontaba el urbanismo de esta época, amén de imposiciones ideológicas, también una serie de contundentes problemas, documentados con cifras por los autores.

La reconstrucción de ciudades destruidas se extendía a unos doscientos lugares (pp. 72, 348). Al final de la guerra civil, al menos 192 localidades estaban destruidas en más de un 60 % (p. 48). La obra hidráulica para regulación de caudales fluviales en aras a la agricultura, se percibía como una prioridad. La colonización del territorio, con mejoras infraestructurales, orientadas en particular a la agricultura de regadío, era la respuesta. El programa de colonización rural llevó a establecer unas doscientas aldeas de nueva planta hasta 1959; tras 1960, les siguieron otras 95 (pp. 296, 302). Si el regadío y la producción eléctrica se entienden como evidentes resultados de la mejora infraestructural, puede servir de indicador útil el número de presas construidas. En 1939 había 180 embalses; en los años 1943-1954 se añadieron cien nuevos embalses; y en los siguientes años 1955-1970, otros 276 (pp. 255 ss.).

Otro problema colosal era la escasez de vivienda en las grandes ciudades, evidenciado por los abundantes asentamientos chabolistas. Tan solo en Madrid, había al comienzo de los años 50 treinta barrios de chabolas, donde vivían unas 400.000 personas (p. 153). El problema fue resuelto de forma insatisfactoria: en vez de atajarlo de forma global, se impulsó la construcción de viviendas y pueblos para círculos que se aspiraba a vincular al régimen. La construcción de viviendas y asentamientos rurales se aplicó como instrumento de dominio, para recompensar a los seguidores del dictador, premiando su lealtad hacia el régimen con ventajas en la adquisición de viviendas o tierras.

Otra misión del urbanismo era la constitución de una «infraestructura de la opresión», en lo cual los autores se refieren expresamente a Madrid (pp. 166 ss.) y Barcelona (pp. 204 ss.). Se trata de prisiones, campos de concentración, sitios para ejecuciones. Se usaron cárceles preexistentes, se erigieron prisiones del tipo más moderno, se reutilizaron otros edificios disponibles para fines represores, se abusó de los cementerios como lugar de ajusticiamiento.

Es una función del urbanismo, presumiblemente en todas las dictaduras, la creación de lugares de memoria. Entre los lugares más conocidos de la España franquista destacan el Valle de los Caídos al noroeste de Madrid, el Arco de la Victoria en la capital y el Alcázar de Toledo, reconstruido. Pero también el modo en que las ciudades destruidas durante la guerra fueron reconstruidas y exhibidas desempeñaba, junto con la propia reconstrucción, un papel propagandístico. Los autores detallan este punto a la luz de tres legendarios escenarios de batalla de la guerra civil (Brunete, Belchite y Guernica).

Tales reconstrucciones tenían abundante carga ideológica, reflejando una visión del mundo dirigida al pasado. Evocaciones de la grandeza de un pasado imperial; predilección por el marco rural; centralismo madrileño; lugares de memoria agrupados en torno a la capital (p. 161); preferencia por la Plaza Mayor, ámbito en que organizaciones estatales como la Falange y sus sindicatos, la policía, el ayuntamiento y la iglesia ocupaban un lugar de preferencia. Ha de advertirse que apenas hubo un proyecto urbanístico en el franquismo que no tuviera su iglesia, con independencia de que se tratase de universidades laborales, barrios de vivienda o pueblos de colonización. La política social, orientada al pasado, inspiró también una «renovación conservacionista de los cascos antiguos» (p. 345) en pequeñas y medianas ciudades.

Existía incluso un estilo preferido por la Falange, el escurialismo, tendencia evocadora de la arquitectura del Escorial, con un severo aire neoclásico (p. 212). La universidad laboral de Gijón es uno de los ejemplos más conocidos de ello. Pero el escurialismo era solo una de las variantes dentro de un abanico de estilos constructivos disponibles. Cabe añadir que el régimen aspiraba a lucir su propia versión del movimiento moderno, como se desprende de la edificación de rascacielos en Madrid, el urbanismo industrial barcelonés o la creación de aeropuertos modernos y enormes estadios de fútbol.

7. Límites del influjo de la Falange sobre el urbanismo

A propósito de la diversidad de estilos arquitectónicos viene una tesis de los autores, de extraordinario interés, acerca del papel de arquitectos y urbanistas durante el franquismo. Entre los arquitectos del régimen había decididos seguidores de Franco, junto a otros que se agarraban a la oportunidad de ejercer su profesión: «el franquismo consiguió movilizar a su favor, tempranamente y de forma visible, el quehacer técnico y la creatividad configuradora de los arquitectos españoles» (p. 344). Ello permitió a una administración dominada por falangistas «compensar la falta de competencia técnica de sus cuadros» (p. 345). De resultas de ello, se produjo una multiplicidad de lenguajes formales y estilos, acompañada de una elevada calidad técnina, lo que se aprecia de forma palmaria en las universidades laborales y pueblos de colonización. A través de los arquitectos se estableció de paso una continuidad con planes y proyectos preexistentes, que no eran franquistas en origen, sino que ―como es el caso de los planes de Madrid y Barcelona―, contaban con una larga historia anterior. Otra causa de la diversidad urbanística reside en el hecho de que estos urbanistas conocían el debate internacional y, al mismo tiempo, se dejaban inspirar por las producciones de otras dictaduras. En su conjunto, los autores ven en el urbanismo de esta época, «tanto en la ciudad como en el campo, una variante tradicional del movimiento moderno, que también caracterizó a la Italia fascista o a la Unión Soviética de Stalin» (p. 346).

Como muestra el análisis de los autores, la dominación franquista se caracteriza también por el hecho de que incluso en casos en que los falangistas querían plasmar urbanísticamente sus aspiraciones sociales, el resultado final era el reparto con ventajas entre los ya acomodados. Un primer ejemplo: existía una normativa estatal de construcción de viviendas de alquiler para las clases medias, de la que también las empresas privadas, con estímulos fiscales, se aprovechaban (p. 145). El régimen abordó el alza de los alquileres imponiendo topes, y más tarde prohibiendo nuevas subidas. Como consecuencia, la construcción de casas de alquiler dejó de ser atractiva para las empresas privadas, lo que llevó a que estas viviendas fueran retiradas del mercado de alquiler y se vendieron a clientes acomodados. Un segundo ejemplo: entre 1939 y 1975 se pusieron en riego 1.635.000 hectáreas de tierra por iniciativa y financiación estatal. Los pobladores de las aldeas de colonización se repartieron tan solo 149.358 hectáreas (p. 249). «Los principales beneficiarios no fueron los colonos, sino los terratenientes, cuyas fincas registraron una colosal revalorización» (íbid), estimable en 1.200 hasta 2.000 % con respecto a los valores de la preguerra.

8. Tres observaciones críticas y un deseo

Presuponen los autores un «cuerpo crítico de lectores» (p. 39). Mencionemos aquí cuatro aspectos, que más que ofrecer crítica de fondo, pretenden matizar y solicitar alguna aclaración. Las tres observaciones intentan sondear algunas enjundiosas afirmaciones de los autores. En primer lugar, el título principal del libro, «el urbanismo como cruzada de Franco»; seguidamente, el título del capítulo final de síntesis, «el urbanismo bajo Franco. La continuación de la guerra civil española por otras vías». Por último, se discute otra afirmación central: «el urbanismo […] permite clasificar al régimen como una dictadura abiertamente represiva y desarrollista, de economía estatal» (p. 341). El deseo se orienta a la ampliación de una sección, la de «Infraestructura de la opresión». El lector que no tenga especial interés en minuciosas controversias sobre palabras y conceptos, puede saltarse esta parte de la reseña y acudir directamente a las conclusiones.

(1) El título principal del libro, «el urbanismo como cruzada de Franco», es desconcertante, pues los autores no explican de qué modo ha de entenderse. Para un lector alemán, la referencia inmediata sería a las cruzadas medievales. En el contexto de la dictadura franquista, el concepto de cruzada tiene una inequívoca procedencia, el nacionalcatolicismo; se usó para santificar la pugna de los rebeldes contra la Segunda República y la victoria en la guerra civil. Cruzada, en este contexto ideológico, es sinónimo de guerra civil. Tras la cruzada da comienzo una nueva etapa, que ni los mismos protagonistas y propagandistas de la dictadura siguieron denominando con ese nombre. Por seguir la terminología de los Servicios de Arquitectura de la Falange, de 1939, tras la cruzada venía «el inmenso problema de la reconstrucción de España» (cf. p. 340). Tras la victoria militar tocaba asegurarse el control. Iba con ello indudablemente, como indican los autores, la tarea de hacer visible el nuevo poder en todo el territorio por medio del urbanismo, a través de nuevos nombres de calles, placas conmemorativas, monumentos a la victoria, edificios religiosos, reconstrucción de ciudades en ruinas, embalses, pueblos de nueva planta, universidades laborales y otras iniciativas. De ahí que un título que diera expresión directa a esta voluntad de consolidar por la vía urbanística el dominio dictatorial hubiera sido tal vez más adecuado.

(2) El capítulo final de síntesis lleva el título «El urbanismo bajo Franco. La continuación de la guerra civil española por otras vías» (p. 340); tal encabezamiento es sin duda impactante, pero no refleja los principales resultados del estudio. La posguerra española se vio marcada por una masiva pobreza, persecución política, terror de estado, asesinato en masa, explotación por trabajos forzados, así como otras modalidades de marginación y exclusion social de los antiguos adversarios. Pero, de hecho, tales crímenes y tan innumerables vulneraciones de los derechos humanos durante el franquismo de estos años no se producían ya en el marco de una guerra, es decir, en una situación en que dos campos opuestos se enfrentan en la batalla. No era este el caso, y ello agrava aún más los crímenes. La metáfora elegida, a pesar de su intención drástica, se queda corta ante la realidad.

Desde el punto de vista de la sociología del control, tras 1939 se pretendió sobre todo asegurar el poder y dotar de cotidianía el dominio carismático de Franco, en interés de sus seguidores; ampliar la base social del régimen; integrar nuevos ámbitos sociales, cruciales para estabilizar la dominación. En este título de cuya oportunidad dudamos, no se hace manifiesta la relación mutua entre represión e integración social. La visible represión hacia quienes había combatido del lado de la República, dio lugar también a una intensa presión adaptativa y conformista sobre el resto de la población. Esta combinación de miedo a represalias y perspectivas de oportunidad para mejorar la vida fue puesta en juego por el régimen para ensanchar su base social.

El urbanismo es el ejemplo señero de cómo la represión y las ofertas de integración iban juntas en la práctica dictatorial. Por un lado, se observa la erección de una «infraestructura de la opresión», la utilización masiva de trabajadores forzados para la construcción o la mejora de equipamientos urbanos y rurales, la expulsión de los mejores espacios y tierras habitables, la intensa pobreza en todo el país, que se evidencia en los múltiples barrios de miseria y en una construcción antisocial de viviendas. Por el otro lado, la dictadura se esforzaba en servir a sus seguidores y multiplicarlos: ello principia por la reconstrucción modernizadoras de ciudades destruidas, y la edificación de vivienda urbana de calidad para la burocracia del nuevo estado y las capas medias a quienes se intentaba persuadir. También en la colonización interior, con sus numerosas aldeas de nueva planta para la población rural deseosa de integrarse, así como la creación de universidades laborales para la generación de elites procedentes de orígenes modestos. Resulta en último término sorprendente, con cuánta deliberación y precisión política supieron las elites aprovechar las variadas funciones del urbanismo para consolidar su posición dominante. Este es un importante resultado de los autores, que no logra quedar plasmado en el título, con su referencia a «la continuación de la guerra civil española por otras vías».

(3) Cabe también discutir el concepto de «dictadura desarrollista», aplicado por los autores a la caracterización de esta fase temprana del periodo: «el urbanismo […] permite clasificar al régimen como una neta dictadura desarrollista y represiva, de economía estatal» (p. 341). Por un lado, puede argüirse que, desde los años del regeneracionismo, todos los gobiernos españoles hubieron de confrontar el problema de un desarrollo retrasado. Asimismo, ha de advertirse que, si bien es cierto que la idea del desarrollo era central en el discurso de la Falange, pero las realidades del franquismo imponían otras prioridades, como exponen los autores a la luz de dos ejemplos: el fracaso del modelo público de vivienda de alquiler a beneficio de los promotores privados, y la política de regadíos, cuyos frutos recayeron sobre todo en los terratenientes. En tercer lugar, solo en el área del urbanismo fue posible conseguir resultados cualitativamente valiosos, partiendo de unos métodos poco tecnificados, materiales tradicionales y modos de edificar (sin acero ni cemento), pero disponiendo de buenos arquitectos, mucha mano de obra y trabajadores forzados. Este modelo low-tech no era exportable a otros sectores, que exigían más estrictos requisitos técnicos y de cualificación para la producción y capacidad de concurrencia. A partir de los éxitos en urbanismo y construcción de infraestructuras no debe extrapolarse al desarrollo conjunto de la economía, por lo que no el régimen no puede ser descrito globalmente como dictadura desarrollista. Por decirlo de otra manera, solo en el sector urbanístico, impregnado de las nociones de política de desarrollo de la Falange, cabía esperar cierto éxito del modelo de una neta dictadura desarrollista y represiva de economía estatal. Los logros del sector urbanístico no son suficientes, según nuestro modo de ver, para clasificar globalmente al régimen como dictadura desarrollista.

Puede afirmarse aún más: la productividad de la agricultura y la industria en la etapa inicial del franquismo fue muy baja o casi inexistente. El modelo económico en su conjunto fracasó. La economía, dirigida por el Estado, llegó en 1956 a una crisis que ponía en peligro el sistema; de ella solo se pudo salir gracias a una nueva política, liberal en lo económico, con renovado personal político, plan de estabilización, mudanza ideológica, integración en la economía mundial, inversión extranjera, emigración de trabajadores… (sobre la magnitud de la crísis, véase Anna Catharina Hofmann: Fran­cos Moderne. Technokratie und Diktatur in Spanien 1956-1973. Göttingen 2019: Wallstein Verlag). Por ello, la literatura suele aludir al franquismo en términos de dictadura desarrollista solo a partir de 1959, aunque dejando en suspenso si con ello se entiende la autodescripción, es decir, la nueva ideología legitimadora del desarrollismo, o si se admite que el tardofranquismo fue politológicamente y con arreglo a la sociología del poder lo que propiamente puede describirse como dictadura desarrollista.

En cuarto y último lugar: llama poderosamente la atención que en el libro también se aborde la infraestructura de construcción destinada a la represión, así como la importancia del trabajo forzado para la construcción urbana, especialmente en los capítulos sobre Madrid, Barcelona y el Valle de los Caídos. Este nudo temático podría desarrollarse más, entrando en detalles sobre la erección y uso de los numerosos campos de concentración (estimados en 194, p. 166). Aunque los estudiosos de las ciudades puedan alegar que esto escapa a su campo de atención, sería de gran utilidad para apreciar en su conjunto el mundo de la vivienda en el franquismo inicial el disponer de información adicional sobre los abundantes refugios y barrios de chabolas, así como la política al respecto.

9. Resumen

La consulta, lectura y estudio de la obra puede recomendarse, no solo a quienes se ocupan científicamente del urbanismo y el desarrollo social español, sino también a un público más amplio. Su estilo es factual y sobrio, la composición bien pensada, y la revisión editorial debe haber sido extraordinariamente laboriosa. Este detallado estudio es una rica fuente, de la que puede obtenerse una copiosa información sobre el urbanismo español entre 1938 y 1959, en sus diversas facetas y funciones; se abarcan cuidadosamente, de hecho, temas generalmente marginados, como la colonización interior o las universidades laborales. En los diversos campos de acción urbanística se describe cómo el urbanismo se usó como herramienta de dominio por el franquismo. La convincente imbricación entre urbanismo y modos de control es uno de los principales logros de la obra. Ha de destacarse también que los autores elaboran y explican la pluralidad de estilos constructivos y modelos urbanos presentes. En esta diversidad ocupan un lugar destacado arquitectos ajenos al estilo predilecto de la Falange, los cuales pudieron anudar su praxis con el urbanismo anterior a Franco, y que, al mismo tiempo, conocían y apreciaban la discusión especializada internacional y las tendencias urbanísticas de otras dictaduras europeas. Finalmente ha de destacarse una vez más que los autores ligan el estudio de la historia del urbanismo con una cuestión de actualidad: qué hacer o qué debería hacerse con el legado constructivo del franquismo.

Queda desear muchos lectores a este libro, y sería de esperar que, entre los germanohablantes, así como en el mundo profesional español y otros ámbitos lectores, alcance resonancia y sea apliamente discutido. En las listas de los mejores libros especializados se habrá ganado este estudio un lugar de honor.


Harald Bodenschatz und Max Welch Guerra (Hrsg.):
Städtebau als Kreuzzug Francos. Wiederaufbau und
Erneuerung unter der Diktatur in Spanien 1938–1959
.
Berlin: DOM Publishers 2021, ISBN: 978-3-86922-527-2

Harald Bodenschatz und Max Welch Guerra (Hrsg.): Städtebau als Kreuzzug Francos

Über einen Stützpfeiler des Franquismus: Städtebau in Spanien als politisch zielgerichtet eingesetz­tes Herrschaftsmittel

Rezension von Knud Böhle

1. Einleitung

Uwe Altrock (Universität Kassel), Harald Bodenschatz (TU Berlin und Bauhaus-Universität Weimar), Jean-François Lejeune (University of Miami), Piero Sassi (federführend; Bauhaus-Universität Weimar) und Max Welch Guerra (Bauhaus-Universität Weimar) haben einen großformatigen (30 cm x 24 cm) mit 570 Illustrationen ausgestatteten Band zum Städtebau während der ersten 20 Jahre der Franco-Diktatur (1938–1959) vorgelegt.

Die Autoren sind renommiert und decken zusammen ein weites fachliches Spektrum ab, zu dem unter anderem Architektur, Architekturgeschichte, Stadt- und Raumplanung zählen, aber ebenso Politik- und Planungswissenschaft sowie Architektursoziologie. Die vorliegende Studie versteht sich als Beitrag zur Erforschung des Städtebaus europäischer Diktaturen. Vergleichbare Arbeiten zu Deutschland, der Sowjetunion, Italien und Portugal sind in früheren Jahren bereits veröffentlicht worden.

Der Text-Bild-Band imponiert allein schon durch das vielfältige, mit aussagekräftigen Legenden verse­hene Bildmaterial. Dafür wurde aus zahlreichen Quellen, auch aus Sammlungen der Autoren selbst, geschöpft. Neben Fotos von Bauwerken, Städten und Statuen, werden auch Ansichtskarten, Pläne, Skizzen, Prospekte, Plakate, Bilder aus Filmen und anderes mehr einbezogen. Der mit dem Buch verbundene Anspruch geht selbstverständlich weit über den eines Bildbandes hinaus.

2. Anspruch der Studie

Für die Spezifizierung und das Anliegen der vorliegenden Studie sind zwei Grundannahmen zen­tral: Die erste Hypothese ist, dass die Protagonisten der Franco-Diktatur von An­fang an im Städtebau «ein wirksames Herrschaftsmittel» (S. 27, S. 342) erkannten, welches sie «politisch zielgerichtet» (S. 29) einsetzten. Die zweite Hypothese lautet, dass es während der ersten 20 Jahre der Diktatur «eine eigene, eine einzigartige Städtebaupolitik» (S. 31) gegeben hat, während das Regime ab 1960 dann weitgehend den Leitbildern der «westeuropäischen Nachkriegsmoderne» (S. 344) folgte. Diese doppelte Perspektive auf den Städtebau ermöglicht es den Autoren, Formen und Funktionen des Städtebaus in Wechselbeziehung zu der politischen, ideologischen und sozialen Konfiguration dieser Phase des Franquismus in den Blick zu nehmen.

Die Rezension wird sich vor allem mit der ersten Hypothese befassen. Eine kritische Erörterung der zweiten Hypothese, die den Sachverstand der mit dem Städtebau hauptsächlich befassten scientific communities erforderte, kann hier nicht geleistet werden. In der vorliegenden Besprechung wird bewusst auf Abbildungen verzichtet. Bildmaterial findet sich auf den Internet-Seiten des Verlags, die gleichzeitig einen Eindruck von der Gestaltung des Buches ermöglichen.

Für die Anlage und Rahmung der Publikation ist es wichtig, dass sie «mit dem deutschsprachigen Publikum vor Augen» (S. 34) verfasst wurde. Das bedeutet unter anderem, dass an vielen Stellen politische sowie städtebauliche Bezüge zu Deutschland aufgezeigt werden, wozu auch der Einfluss prominenter deutscher Architekten gehört ‒ etwa von Hermann Jansen, Paul Bonatz oder Otto Bartning. Der langjährige «intensive, deutsch-spanische, fachprofessionelle Austausch» (S. 79) ist dabei als Hintergrund mitzudenken.

Die Autoren reklamieren im Übrigen für sich eine andere Herangehensweise an ihren Gegenstand als die in Spanien übliche, die «architektengeprägt» sei (S. 37). Demgegenüber wird hier der Städtebau betont, der perspektivisch in den Kontext des Städtebaus jener euro­päischen Diktaturen gestellt wird, die zu Beginn der Franco-Diktatur in Europa bereits an der Macht waren.

3. Aufbau der Studie

Der Aufbau des Bandes ist didaktisch gut durchdacht und sorgfältig komponiert. An den Anfang, quasi als Ouvertüre, wird eine Bildstrecke von 20 Seiten gestellt, auf der die Hauptphänomene des Städtebaus, um die es gehen wird, exemplarisch aufgezeigt werden. Am Ende des Buches wird wie­derum eine Bildstrecke geboten, die vor allem der Geschichtserinnerung und dem heutigen Umgang mit dem gebauten Erbe gewidmet ist. Das an die erste Bildstrecke sich anschließende Kapitel hat einleitenden Charakter. Es ordnet die Franco-Diktatur ein, erläutert den Forschungsstand und den eigenen Ansatz.

Das nächste Kapitel lässt sich als weitere Hinführung und hilfreicher Einstieg für ein deutsches Pu­blikum begreifen. Im Vergleich zweier großer, 1942 in Madrid gezeigter Ausstellungen, namentlich «Neue deutsche Baukunst» und «Arbeiten der Generaldirektion für Architektur», werden die jeweilige Städte­baupropaganda und die unterschiedlichen Zwecksetzungen des Städ­tebaus sichtbar. Nazi-Deutschland hat die Niederlage von Stalingrad und die Zerstörung deutscher Städte noch vor sich, in Spanien geht es bereits um den Wiederaufbau im Bürgerkrieg zerstörter Städte, den Wohnungsbau und freilich nicht zuletzt um die bauliche Glorifizierung des Sieges.

In weiteren Kapiteln wird das Material ausgebreitet und erläutert. An manche der behandelten The­men hätte vermutlich kaum einer bei dem Stichwort Städtebau des Franquismus gedacht. Folgende acht Handlungsfelder des Städtebaus, die hier nur schlagwortartig angedeutet werden können, wer­den untersucht: (1) der Wiederaufbau im Krieg zerstörter Orte, (2) die Erneuerung und Erweiterung der Innenstadt Madrids und die Neugestaltung der Stadtregion, (3) der Altstadtumbau und der in­dustrielle Städte­bau in und um Barcelona, (4) die «Arbeiteruniversitäten – Universitätsstädte neuen Typs», (5) die Erneuerung der Altstädte, (6) Binnenkolonisation, Kolonistendörfer und Wasserbauinfrastruktur, (7) der Städte­bau in den spanischen Kolonien Nordwestafrikas, und (8) das Tal der Gefallenen als «Schlüsselpro­jekt des franquistischen Städtebaus» (S. 322ff).

Zu den «Arbeiteruniversitäten» sei kurz erläutert, dass es weder um Univer­sitäten noch um Berufsschulen im bei uns üblichen Verständnis ging, sondern um «totale Institutionen», wie der Soziologe Erving Goffman sagen würde. In ihnen wurden Internat, ideologische In­doktrination durch die Falange und die Kirche mit Sekundarstufe und Fachausbildung gekoppelt, um re­gimetreue Eliten heranzuziehen. Anfangs gehörte in einigen Einrichtung auch die landwirtschaftli­che Selbstversorgung dazu.

In den meisten Kapiteln werden typische Grundzüge des Städtebaus anhand herausragender Bei­spiele deutlich gemacht, wobei die Beispiele so gewählt sind, dass die städtebauliche Vielfalt deut­lich aufgezeigt werden kann. Beim Thema Wiederaufbau etwa, werden die im Bürgerkrieg zerstör­ten Städte Brunete, Guernica und Belchite genauer untersucht. Bei den «Arbeiteruniversitäten» wer­den von den 21 Einrichtungen dieses Typs zwei, die von Gijón und Cordoba, eingehend (aber nicht aus­schließlich) beleuchtet. Im Kapitel zur Altstadterneuerung werden Saragossa, Salamanca, San­tander, Santillana del Mar und Granada als Beispiele gewählt.

Im letzten Kapitel werden auf wenigen Seiten (S. 340-351) die wichtigsten Einsichten aus den vorherigen, eher deskriptiven Kapiteln aufgenommen und in eine Gesamtsicht der Formen und Funktionen des Städtebaus im frühen Franquismus (1939-1959) integriert. Die acht Anhänge sind ein gutes Mittel, den Haupttext zu entlasten und lesefreundlich zu gestalten. Es werden biografische Angaben zu den im Text genannten einflussreichen Städtebau-Experten jener Zeit gemacht; die Dekrete, Verordnungen und Gesetze, mit den der Städtebau politisch geordnet wurde, werden aufgeführt; die Archive und Sammlungen, denen das Bildmaterial entstammt, wer­den aufgelistet und erwartungsgemäß gibt es auch ein Literaturverzeichnis und ein Personenregister. Im letzten Anhang erfährt man etwas mehr über die Autoren der Studie.

Das ausführliche Inhaltsverzeichnis des Buches kann man online bei der Deutschen Bibliothek einsehen.

4. Adressaten der Studie

Idealtypisch lassen sich vielleicht vier Zielgruppen beziehungsweise Erkenntnisinteressen identifizieren, die das Buch befriedigen kann. Zum einen sind es die Archi­tekten, Architekturhistoriker, Raum- und Stadtplaner, denen ein in vielen Facetten vernachlässigtes Kapitel europäischer Städtebaugeschichte nahegebracht wird. Besonders mit den Kapiteln über den Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg, die Arbeiteruniversitäten, die Binnenkolonisation und den Städtebau in den westafrikanischen Kolonialgebieten wird die Aufmerksamkeit auf Themenfelder gelenkt, die in der Forschung bisher offenbar stark vernachlässigt worden sind.

Das Buch ist ebenso für Zeithistoriker und andere Sozialwissenschaftler, die sich mit dem Franquis­mus als Herrschaftssystem befassen, überaus interessant. Mit dem Städtebau als Herrschaftsmittel wird ihnen eine üblicherweise kaum ausgeleuchtete Dimension eröffnet. Weiter bietet das Buch auch jenen etwas, die sich für die aktuellen Auseinandersetzung um die Erinnerungskultur in Spanien in­teressieren. Dabei ist die Frage, was man mit der baulichen Hinterlassenschaft der Diktatur macht (z.B. Abriss, Transformation, Rekonstruktion, Vergessen, Verdrängen, Neuinterpretation oder Verherrlichung, vgl. S. 38), für das gesamte bauliche Erbe Francos zu stellen – und nicht nur für das bekannte und vieldiskutierte Tal der Gefallenen.

Schließlich bietet der Band auch den städtebaulich interessierten Touristen, die durch die spanischen Lande rei­sen oder Städte besichtigen möchten, durchaus Überraschendes. Wenige wer­den wissen, dass das berühmte gotische Viertel in Barcelona, wie es heute dem Besucher erscheint, weitge­hend während der ersten Hälfte der Diktatur gestaltet wurde, oder dass der bekannte mit Deutschem Werkbund und Bauhaus verbundene Architekt Otto Bartning 1942 in Barcelona eine Kirche für die Deutsche (nazifreundliche) Evangelische Gemeinde erbaute, oder dass es mit dem zwischen 1940 und 1945 in Saragossa errichteten Kirchenkomplex San Antonio de Padua mit Kirche, Kloster und Mausoleumsturm eine besondere Bewandtnis hat. In dem Turm ruhen nicht nur die sterblichen Überreste von etwa 3.000 Italienern, die im Bürgerkrieg gegen die Republik kämpften. Der Turm war und ist noch heute italienisches Hoheitsgebiet (vgl. S. 353). Auch die ausführlichen Kapitel zu Madrid und Bar­celona inklusive Stadtgeschichte, oder die Befassung mit den Neudörfern könnten neugierige Tou­risten inspirieren. Natürlich bieten auch die Informationen zum Wiederaufbau Guernicas (baskisch: Gernika) samt der unrühmlichen Vorgeschichte der Zerstörung der Stadt mit maßgeblicher deut­scher Beteiligung durch die Legion Condor, aber auch die Nachgeschichte des Gedenkens auf deut­scher und spanischer Seite, Anreize, sich den Ort genauer anzusehen.

5. Attribute des frühen Franquismus (1938-1959)

Zum Verständnis des Städtebaus im frühen Franquismus (1938-1959) ist eine gewisse Kenntnis ei­niger Eigenheiten der Franco-Diktatur nützlich. Das nötigte Hintergrundwissen wird von den Autoren in knapper Form in der Einleitung bereitgestellt. Einige Charakteristika des frühen Franquismus werden auch hier kurz vorgestellt, wobei den Autoren sinngemäß weitgehend gefolgt wird.

Es steht außer Zweifel, dass die Diktatur sich auf die Macht des Militärs, der Kirche, der Mon­archisten und der Falange stützte, und das Wohlwollen der Großgrundbesitzer, der Industrie- und Finanzoligarchie genoss (vgl. S. 31). Die Diktatur verstand sich nicht als bloß restaurativ. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Reformbedürftigkeit Spaniens gerade in der Wirtschaft unter dem Begriff «regeneracionismo» diskutiert. Dieses Problembewusstsein teilte der Franquismus mit allen vorherigen Regierungen des Zwanzigsten Jahrhunderts. Im frühen Franquismus war es die besonders vom italienischen Faschismus inspirierte Falange, die der Entwicklungspolitik ihren Stempel aufdrückte.

Die aus einem Militärputsch und dem Bürgerkrieg hervorgegangene Diktatur setzte bis Ende der 50er Jahre die Unter­scheidung von Siegern und Besiegten gnadenlos durch und perpetuierte sie. Zwischen den stigmati­sierten Besiegten des republikanischen Lagers einerseits und den markierten Siegern andererseits, also der Gefolgschaft aus Überzeugungstätern und direkten Profiteuren, gab es noch viele Personen, die in dem Klima von materieller Not und Repression ihr tägliches Überleben oder die Verbesserung ihrer Lage zu sichern suchten. Von daher gab es nicht wenige, die sich genötigt sahen, Angebote der sozialen Integration (auf der Siegerseite) anzunehmen. Das gilt auch für nicht wenige Archi­tekten. Die vom Regime eingeforderte Folgsamkeit und Loyalität schließt eine Ablehnung der Diktatur aber nicht unbedingt aus. Wie es in einer anderen Buchbesprechung im Spanienecho hieß: «Es gab viel Antifranquismus im Franquismus». Auch das dürfte für einige Architekten gelten (vgl. dazu auch den Hinweis in der Studie auf die Distanz der Architektenkammer Kataloniens zur Franco-Diktatur auf S. 192).

Auf der Ebene der Ideologie waren in jener Zeit (bis 1959) der Nationalsyndikalismus und der Natio­nalkatholizismus vorherrschend. Ohne ins Detail zu gehen, gemeinsam war beiden ein übersteigerter Nationalismus, ein antiparlamentarisches, hierarchisches und ständisches Ordnungs­denken, eine Glorifizierung vergangener historischer Größe und des ländlichen Raums (gegenüber der Stadt). Gemeinsam war beiden auch die manichäische Radikalisierung in Denken und Handeln, sowohl während des Krieges als auch in den zwei Jahrzehnten danach.

Der nationalsyndikalistische Diskurs war stark von faschistischen Ideen geprägt, was eine gewisse Anerkennung der sozialen Frage, der Interessen der (loyalen) Werktätigen und der Notwendigkeit staatlich gelenkter wirtschaftlicher Entwicklung beinhaltete ‒ mit einer Vorliebe für Großprojekte, in denen vormoderne Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und Infrastrukturverbesserung kurzge­schlossen wurden. Demgegenüber war der Nationalkatholizismus ein rückwärtsgewandter Fun­damentalismus, der die Trennung von Kirche und Staat rückgängig machen und einen konfessionel­len Staat errichten wollte, was im frühen Franquismus tatsächlich gelang.

Auf der Ebene der Sprache war die katholisch reaktionäre Metaphorik besonders präsent: der Bürgerkrieg wurde zum Kreuz­zug, der Diktator wurde mit Gottesgnadentum ausgestattet, die Gegner wurden mit Begriffen wie Anti-Christ, Anti-Patria und Anti-España verteufelt. In dieser ideologisierten Wirklichkeit, um ein für den Städtebau relevantes Beispiel zu wählen, mutierte die Ausbeutung durch Zwangsarbeit zur «Erlösung von Strafen durch Arbeit». Das dem Justizministerium unterstehende, die Zwangsarbeit steuernde Gremium hatte bezeichnenderweise (ab 1942, vgl. S. 327) den aufgeblasenen Namen: «Zentralpa­tronat Unserer Lieben Frau der Gnade für die Erlösung von Strafen durch Arbeit» (Patronato Cen­tral de Nuestra Señora de la Merced para la Redención de las Penas por el Trabajo). Nach 1945, dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Beginn des Kalten Krieges, waren die Nationalsyndikalis­ten und ihre Ideologie vor allem international nicht mehr präsentabel, behielten aber im Innern noch über Jahre beachtlichen Einfluss etwa in der Lohnpolitik, aber auch in der Siedlungs- und Entwicklungspolitik.

6. Probleme des Städtebaus und ideologisch geprägte Lösungen

Der Städtebau jener Zeit hatte, jenseits ideologischer Erfordernisse, auf eine Reihe handfester Probleme zu antworten, die die Autoren mit Zahlen unterfüttern.

Der Wiederaufbau zerstörter Städte bezog sich auf etwa 200 Orte (S. 72, S. 348). Ende des Bürgerkriegs waren 192 Ortschaften mindestens zu 60% zerstört (S. 48). Die Eindämmung der Landflucht durch Förderung der Landwirtschaft wurde als weiteres dringendes Problem gesehen. Binnenkolonisation und Verbesserung der Infrastruktur auf dem Lande, insbe­sondere durch den Wasserbau, waren die Antworten. Im Rahmen der Binnenkolonisation wurden bis 1959 etwa 200 Neudörfer angelegt, nach 1960 noch weitere 95 (S. 296, S. 302). Betrachtet man Bewässerung und Elektrizitätsgewinnung als wichtige Elemente der Infrastrukturverbesserung, dann kann der Bau von Staudämmen als brauchbarer Indikator dienen: 1939 gab es 180 Staudäm­me; in den Jahren 1943-1954 kamen 100 weitere Staudämme dazu, und in den Folgejahren 1955-1970 nochmals 276 (S. 255f).

Ein weiteres unübersehbares Problem stellte die Wohnungsnot in den Großstädten dar, die sich an den zahlreichen informellen Siedlungen zeigte. Allein in Madrid gab es Anfang der 1950er Jahre 30 Elendssiedlungen, in denen etwa 400.000 Personen lebten (S. 153). Dieses Problem wurde nur unzureichend angegangen. Stattdessen wurde der Wohnungs- und Städtebau für Personenkreise gefördert, die man an das Regime binden wollte. Der Wohnungs- und Städtebau (auf dem Lande) wurde als Herrschaftsinstrument eingesetzt, um die Gefolgschaft des Diktators zu beloh­nen, indem Loyalität gegenüber dem Regime mit bevorzugter Wohnungs- oder Landvergabe prä­miert wurde.

Eine weitere Aufgabe des Städtebaus war der Aufbau einer «Infrastruktur der Unterdrückung», wor­auf die Autoren ausführlich für Madrid (S. 166ff) und Barcelona (S. 205ff) eingehen. Gemeint sind damit Haftanstalten, Konzentrationslager, Hinrichtungsstätten. Genutzt wurden vorhandene Gefängnisse, modernste Haftanstalten wurden neu errichtet, andere vorhandene Gebäude wurden für den Zweck der Repression umgewidmet, Friedhöfe wurden als Hinrichtungsstätten mißbraucht.

Eine Funktion des Städtebaus, vermutlich in allen Diktaturen, ist es, Erinnerungsorte zu schaffen. Zu den bekanntesten Erinnerungsorten des franquistischen Spaniens gehören das Tal der Gefallenen nordwestlich von Madrid, der Siegesbogen in Madrid (arco de la victoria) und die wiederaufgebaute Festung (der Alcázar) in Toledo. Aber auch die Art, wie im Krieg zerstörte Städte wieder aufgebaut und vorgezeigt werden, erfüllte neben der des Wiederaufbaus eine propagandistische Funktion. Die Autoren zeigen das anhand von drei legendären Kriegsschauplätzen des Bürgerkriegs (Brunete, Belchite und Guernica).

Der Städtebau war in vielerlei Hinsicht ideologisch geprägt und spiegelte ein rückwärtsgewandtes Weltbild: Heraufbeschwören der großen imperialen Vergangenheit, eine Präferenz für den ländli­chen Raum, Zentralismus der Hauptstadt Madrid, Erinnerungsorte im Umkreis der Hauptstadt (S. 161), eine Präferenz für die Plaza Major, an der die staatstragenden Einrichtungen wie die Falange und ihre Gewerkschaftsorganisation, Poli­zei, Rathaus und Kirche demonstrativ in Szene gesetzt wurden. Letztlich gab es kaum ein städte­bauliches Projekt im Franquismus, das ohne Kirche ausgekommen wäre ‒ egal ob es um Arbeiteruniversitäten, Wohnviertel oder Neudörfer ging. Der rückwärtsgewandten Gesellschaftspolitik korrespondiert auch eine «erhaltende Altstadterneuerungspolitik» (S. 345) für mittlere und kleinere Städte.

Es gab sogar einen von der Falange präferierten Baustil, den Escuralismo, ein an der Architektur des Esco­rial orientierter strenger, neoklassischer Stil (S. 212). Die Arbeiteruniversität in Gijón ist dafür eines der bekanntesten Beispiele. Der Escuralismo stellte aber nur eine Variante innerhalb einer Vielzahl praktizierter Baustile dar. Zu ergänzen ist ferner, dass das Regime auch die eigene Modernität unter Beweis stellen wollte, ablesbar etwa am Bau von Hochhäusern in Madrid, dem industriellen Städtebau in Barcelona oder dem Bau moderner Flughäfen und riesiger Fußballstadien.

7. Grenzen des Einflusses der Falange auf den Städtebau

An die Aussage zur Vielfalt der Architekturstile knüpft eine außerordentlich interessante These der Autoren zur Rolle der Architekten und Städtebauer im Franquismus an. Unter den Architekten des Regimes gab es entschiedene Franco-Anhänger und solche, die die Chance in ihrer Profession tätig zu sein, ergriffen: «Dem Franquismus gelang es, das technische Können und die gestalterische Kreativität der spanischen Architektenschaft schon früh und in beträchtlichem Maße für sich zu mobilisieren» (S. 344). Das ermöglichte der weitgehend falangistisch geprägten Administration, «die in ihren Reihen fehlende fachliche Kompetenz auszugleichen» (S. 345). Im Ergebnis kam es dadurch zu einer Vielzahl an Formsprachen und Baustilen bei hoher fachlicher Qualität, was besonders sinnfällig an den Arbeiteruniversitäten und Kolonistendörfern gezeigt wird. Über die Architekten wurde auch eine Kontinuität mit bereits existierenden Plänen und Projekten gesichert, die nicht originär franquistisch waren, sondern wie die Bebauungspläne für Madrid und Barcelona eine lange Vorgeschichte hatten. Eine weitere Quelle der städtebaulichen Vielfalt ist darin zu sehen, dass diese Städtebauer die internationale Diskussion kannten und sich zudem von den Produkten anderer Diktaturen inspirie­ren lassen konnten. Insgesamt sehen die Autoren den Städtebau dieser Zeit «in den Städten wie auf dem Land als eine traditionelle Variante der Moderne, die auch das faschistische Italien wie die So­wjetunion Stalins prägte» (S. 346).

Kennzeichnend für die Herrschaft des Franquismus ist auch, wie die Analyse der Autoren zeigt, dass selbst dort, wo die Falangisten soziale Anliegen im Städtebau umsetzen wollten, es am Ende zu einer Umverteilung und Begünstigung der bereits Wohlhabenden kam. Beispiel 1: Es gab eine staatliche Förderung für den Bau von Mietwohnungen für Mittelschichten, von der auch private Unternehmen über Steuerbegünstigungen profitierten (S. 145). Steigenden Mieten begegnete das Regime zunächst durch eine Mietpreisdeckelung und dann durch ein Verbot von Mieterhöhungen. Dadurch wurde der Bau von Mietwohnungen von den privaten Unterneh­men nicht mehr als attraktiv angesehen, und das führte dazu, dass diese Wohnungen dem Mietmarkt entzogen und an Wohlhabende verkauft wurden. Beispiel 2: Insgesamt wurden von 1939 bis 1975 beachtliche 1.635.000 Hektar Land durch staatlich finanzierte Maßnahmen bewässert. An Siedler der Neudörfer wurden davon nur 149.358 Hektar verteilt (S. 249). «Die Hauptprofiteure waren nicht die Sied­ler, sondern die Besitzer großer landwirtschaftlicher Güter, die eine gewaltige Aufwertung er­fuhren» (ebd.) – nach Schätzungen eine Steigerung von 1.200 bis 2.000 Prozent gegenüber dem Vorkriegswert.

8. Drei kritische Anmerkungen und ein Wunsch

Die Autoren gehen von einer «kritischen Leserschaft» aus (S. 39). Vier Punkte, bei denen es nicht um grundsätzliche Kritik geht, sondern um Nuancierungen und Klärungsbedarf, sollen hier angesprochen werden. Bei den drei Anmerkungen geht es darum, prägnante Formulierungen der Autoren zu hinterfragen, zunächst den Haupttitel des Buches «Städtebau als Kreuzzug Francos», dann den Titel des Schlusskapitels, das die Ergebnisse synthetisieren soll «Städtebau unter Franco. Die Fortsetzung des Spanischen Bürgerkriegs mit anderen Mitteln». Schließlich wird noch eine zentrale Aussage diskutiert: «Der Städtebau […] erweist das Re­gime als offen repressive Entwicklungsdiktatur staatswirtschaftlichen Typs» (S. 341). Der Wunsch bezieht sich auf eine Erweiterung der Abschnitte zur „Infrastruktur der Unterdrückung“. Wer kein besonderes Interesse an kleinteiligen Auseinandersetzungen um Worte und Begriffe hat, mag diesen Teil der Rezension überspringen, und gleich zum Fazit übergehen.

(1) Der Haupttitel des Buches «Städtebau als Kreuzzug Francos» ist irritierend, zumal die Autoren nicht explizieren, wie der Titel verstanden werden soll. Ein deutscher Leser mag zunächst an die Kreuzzüge des Mittelalters denken. Im Kontext der Franco-Diktatur stammt der Begriff Kreuzzug (cruzada) ohne Frage aus der ideologischen Kiste des Nationalkatholizismus, und wurde verwendet, um damit den Kampf der Aufständischen gegen die Zweite Republik und den Sieg im Bürgerkrieg zu sakralisieren. Cruzada ist in dem ideologischen Kontext ein Synonym für den Bürgerkrieg. Nach der cruzada beginnt eine neue Etappe, die auch von den Protagonisten und Propagandisten der Diktatur nicht mehr als cruzada bezeichnet wird. Den Worten der Sektion Architektur der Falange aus dem Jahr 1939 folgend, stand nach dem Kreuzzug das «großartige Problem des Wiederaufbaus Spaniens» (vgl. S. 340) an. Nach dem militärischen Sieg kam es darauf an, die Herrschaft zu sichern. Damit war durchaus auch die Aufgabe verbunden, wie man bei den Autoren lernen kann, die neue Herrschaft im ganzen Territorium mit Mitteln des Städtebaus zu manifestieren, durch neue Straßennamen, Gedenktafeln, Monumente des Sieges, Sakralbauten, Wiederaufbau zerstörter Städte, Stauseen, Neudörfer, Arbeiteruniversitäten und anderes mehr. Von daher wäre ein Titel, der die Sicherung der diktatorialen Herrschaft durch den Städtebau direkt zum Ausdruck gebracht hätte, möglicherweise treffender gewesen.

(2) Die Überschrift des letzten, die Ergebnisse der Untersuchung resümierenden Kapitels «Städtebau unter Franco. Die Fortsetzung des Spanischen Bürgerkriegs mit anderen Mitteln» (S. 340) ist sicherlich aufrüttelnd gemeint, bringt aber die wesentlichen Einsichten der Studie gar nicht auf den Punkt. Die Nachkriegszeit in Spanien war geprägt durch Massenarmut, politische Verfolgung, Staatsterror und Massenmord, Ausbeutung durch Zwangsarbeit sowie weitere Formen sozialer Ausgrenzung und Exklusion der ehemaligen Gegner. Von daher kann metaphorisch durchaus von einer Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln gesprochen werden. Aber realiter fanden die Untaten und zahllosen Menschenrechtsverletzungen des Franquismus in diesen Jahren gerade nicht mehr in einem Krieg statt, der immer zwei bewaffnete Lager, die sich im Kampf befinden, voraussetzt. Das war hier nicht mehr der Fall und deshalb wiegen diese Verbrechen noch schwerer. Die Drastik der gewählten Metapher erweist sich gegenüber der Realität als noch zu harmlos.

Herrschaftssoziologisch ging es nach 1939 in erster Linie um Herrschaftssicherung und Veralltägli­chung der im Krieg aufgebauten charismatischen Herrschaft Francos im Interesse seiner Anhänger, um die Erweiterung der sozialen Basis des Regimes und um die Integration weiterer, für die Stabilisierung der Herrschaft wichtiger Kreise. In der problematisierten Überschrift kommt die Wechselbeziehung von Repression und sozialer Integration nicht mehr zum Ausdruck. Die offenkundige Re­pression derer, die auf Seiten der Republik gekämpft hatten, erzeugte auch einen außerordentlicher Anpassungs- und Konformitätsdruck bei allen anderen. Es war die Angst vor Repressalien im Verein mit Aussichten auf verbesserte Lebenschancen, die das Regime einsetzte, um seine soziale Basis zu erweitern.

Der Städtebau ist das Paradebeispiel, wie Repression und Integrationsangebote in der Praxis der Diktatur zusammen gehörten. Auf der einen Seite steht die Errichtung einer «Infrastruktur der Unterdrückung», der massive Einsatz von Zwangsarbeit im Baubereich und bei der Verbesserung der städtischen und ländlichen Infrastruktur, der Ausschluss von günstigem Wohnraum und Land, und die große Armut im ganze Lande, die deutlich an den vielen Elendsvierteln ablesbar ist und auf einen unsozialen Wohnungsbau hinweist. Auf der anderen Seite war die Diktatur bestrebt, ihre Gefolgschaft zu bedienen und auszuweiten: das fängt beim modernisierenden Wiederaufbau zerstörter Städte an und dem Bau anständiger Stadtwohnungen für die Bürokratie des Neuen Staates und die Mittelschichten, die man zu gewinnen hoffte. Das setzt sich in der Binnenkolonisation mit den zahlreichen Neudörfern für die integrationswillige Landbevölkerung fort und zeigt sich ebenso beim Bau der Arbeiteruniversitäten für den Elitenachwuchs aus kleinen Verhältnissen. Das Überraschende ist am Ende, wie durchdacht und politisch zielge­richtet die Eliten die verschiedenen Funktionen des Städtebaus zur Stabilisierung ihrer Herrschaft zu nutzen wussten. Das ist die wichtige Erkenntnis der Autoren, die in der Überschrift und der Rede von der «Fortsetzung des Spanischen Bürgerkriegs mit anderen Mitteln» verloren geht.

(3) Auch der Begriff der «Entwicklungsdiktatur», den die Autoren zur Charakterisierung dieser frühen Phase der Diktatur ins Spiel bringen, ist zu diskutieren: «Der Städtebau […] erweist das Re­gime als offen repressive Entwicklungsdiktatur staatswirtschaftlichen Typs» (S. 341).

Zum einen kann argumentiert werden, dass seit den Jahren des Regenerationismus alle spanischen Regierungen sich mit dem Problem nachholender Entwicklung konfrontiert sahen. Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der Entwicklungsgedanke zwar im Diskurs der Falange eine bedeutende Rolle spielte, dass die Realität des Franquismus als Regime aber durchaus auch andere Prioritäten kannte, wie von den Autoren selbst an zwei Beispielen aufgezeigt wurde: dem Scheitern des geförderten Mietwohnungsmodells zugunsten privater Bauunternehmer und den Bewässerungsmaßnahmen zugunsten von Großgrundbesitzern.

Drittens, nur im Städtebau war es möglich gewesen, mit wenig technisierten Methoden, traditionellen Materialien und Bauweisen (ohne Stahl und Beton), guten Architekten, viel Handarbeit und Zwangsarbeit qualitativ hochwertige Ergebnisse hervorzubringen. Dieses low-tech-Modell war nicht auf andere Sektoren, mit anderen technischen und qualifikatorischen Voraussetzungen für Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, übertragbar. Aus den Leistungen im Städtebau und Infrastrukturaus­bau lässt sich deshalb nicht auf die allgemeine Entwicklung der Wirtschaft schließen und von daher qualifiziert sich auch das Regime als Ganzes nicht als Entwicklungsdiktatur. Anders gesagt: Nur im von den entwicklungspolitischen Vorstellungen der Falange geprägten Sektor des Städtebaus wurde das Modell einer offen repressiven Entwicklungsdiktatur staatswirtschaftlichen Typs mit einem gewissen Erfolg umgesetzt. Die Erfolge auf dem Sektor Städtebau reichen, so die hier vertretene Ansicht, nicht aus, um das Regime insgesamt als Entwicklungsdiktatur zu erweisen.

Man kann sogar noch weiter gehen: die Produktivität in Landwirtschaft und Industrie war im frühen Franquismus extrem niedrig und blieb es. Das Wirtschaftsmodell insgesamt scheiterte. Die staatlich gelenkte Wirtschaft geriet 1956 in eine systemgefährdende Krise, aus der erst eine neue wirtschaftsliberale Politik herausführte, mit neuem politischen Personal, Stabilisierungsplan, veränderter Ideologie und Inte­gration in die Weltwirtschaft, Investitionen aus dem Ausland, Arbeitsemigration etc. (vgl. zur Tiefe der Krise Anna Catharina Hofmann: Fran­cos Moderne. Technokratie und Diktatur in Spanien 1956-1973. Göttingen 2019: Wallstein Verlag). In der Literatur wird bezogen auf den Franquismus deshalb meistens erst für die Zeit nach 1959 von Entwicklungsdiktatur gesprochen, wobei es durchaus strittig ist, ob damit nur auf die Selbstbeschreibung, also die neue Legitimationsideologie des desarrollismo, abgezielt wird, oder gemeint ist, der späte Franquismus sei politologisch und herrschaftssoziologisch korrekt als Entwicklungsdiktatur zu bezeichnen.

Viertens und abschließend: Es ist bemerkenswert und wichtig, dass in dem Buch auch die bauliche Infrastruktur der Unterdrückung und die Bedeutung der Zwangsarbeit für den Städtebau thematisiert wird – insbesondere in den Ka­piteln über Madrid, Barcelona und das Tal der Gefallenen. Dieser Themenkomplex könnte weiter ausgebaut werden, indem ausführlich auf die Errichtung und die Nutzung der zahlreichen Lager (von 194 Konzentrationslagern ist die Rede, S. 166) eingegangen würde. Auch wenn die Stadtforscher das nicht als ihr Aufgabengebiet sehen würden, wären doch mehr Informationen zu den zahlreichen informellen Siedlungen (vulgo Slums oder chabolas) und der darauf bezogenen Politik durchaus wünschenswert, um das gesamte Wohnungswesen im frühen Franquismus besser zu überschauen.

9. Fazit

Das Werk kann nicht nur jedem, der sich wissenschaftlich für den Städtebau und gesellschaftliche Entwicklungen in Spanien interessiert, sondern auch einem breiteren Publikum zum Schauen, Lesen und Studieren empfohlen werden. Der Stil ist sachlich-nüchtern, der Aufbau gut durchdacht und das Lektorat muss außerordentlich sorgfältig gearbeitet haben. Es ist in dieser detailreichen Studie außerordentlich viel über den Städtebau Spaniens von 1938 bis 1959 in seinen zahlreichen Facetten und Funktionen zu erfahren, wobei gerade auch auf fast vergessene Themen, wie die Binnenkolonisation oder die Arbeiteruniversitäten, ausführlich eingegangen wird. Für die unterschiedlichen städtebaulichen Handlungsfelder wird herausgearbeitet, wie der Städtebau als Herrschafts­mittel im Franquismus eingesetzt wurde. Die überzeugende Verzahnung von Städtebau und Herr­schaftsform ist ein besonderes Verdienst der Arbeit. Herauszustellen ist aber auch, dass die Autoren die Vielfalt der anzutreffenden Baustile und Stadtanlagen herausarbeiten und erklären. Da­bei spielen die nicht dem präferierten Stil der Falange verpflichteten Architekten eine große Rolle, die einerseits Kontinuität zum Vor-Franco-Städtebau herstellen konnten, und die andererseits die internationale Fach­diskussion und Entwicklungen im Städtebau anderer europäischer Diktaturen kannten und berücksichti­gen konnten. Schließlich soll noch einmal betont werden, dass die Autoren das Studium der Städteb­augeschichte mit der aktuellen Frage verbinden, wie mit dem baulichen Erbe des Franquismus umgegangen wird oder werden sollte.

Dem Buch sind viele Leser zu wünschen, und es wäre zu hoffen, dass es in der deutschsprachigen aber auch in der spanischen Fachöffentlichkeit (und darüber hinaus) Resonanz erzeugte und einge­hend diskutiert würde. Auf den Listen der besten Sachbücher hätte diese Studie einen her­ausragenden Platz verdient.


Harald Bodenschatz und Max Welch Guerra (Hrsg.):
Städtebau als Kreuzzug Francos. Wiederaufbau und
Erneuerung unter der Diktatur in Spanien 1938–1959
.
Berlin: DOM Publishers 2021, ISBN: 978-3-86922-527-2

Pablo Picasso: Traum und Lüge Francos (Edition Büchergilde)

Vier Anmerkungen zu einer kleinen Sensation

Rezension von Knud Böhle

Die Büchergilde Gutenberg hat im September 2020 den bekannten Radierzyklus Picassos Traum und Lüge Francos in ihrer Reihe Büchergilde Bilderbogen herausgegeben. Sie spricht von einer kleinen Sensation und erläutert, dass die Radierungen erstmals in Deutschland in Originalgröße mit Genehmigung der Erben Picassos abgedruckt werden (Büchergilde Magazin 4 | 20, S. 17). Genauer gesagt enthält ein Schuber zwei Bilderbogen im Format 67 x 48 cm mit dem Radierzyklus sowie einen dritten Bogen 48 x 33,5 cm mit dem zugehörigen Gedicht Picassos auf spanisch und in der deutschen Übersetzung von Max Hölzer. Auf der Rückseite befindet sich ein erläuternder Text von Theresa Nisters mit dem Titel: Der Radierzyklus Traum und Lüge Francos. Picassos erstes politisches Werk. Picasso selbst äußerte sich so zu diesen Radierungen: «¡En ellos está claramente expresada mi opinión sobre la casta militar que ha hundido a España en el dolor y la muerte!» [In ihnen ist meine Meinung über die militärische Kaste klar zum Ausdruck gebracht, die Spanien in Schmerz und Tod gestürzt hat] (nachzulesen in: Facetas de actualidad española Juli 1937, S. 80).

Auf den Internetseiten der Büchergilde gibt es eine Vorschau zu allen Teilen der Publikation (Radierzyklus, Picassos Gedicht, Übersetzung und erläuternder Text). Somit kann jeder einsehen, wovon im Folgenden die Rede ist. Die Herausgeber der Reihe Büchergilde Bilderbogen haben darauf verzichtet, (1) ihre Edition in Bezug zur Editionsgeschichte des Werkes in Deutschland zu setzen, (2) auf den Zusammenhang mit einer Picasso-Ausstellung im Städel Museum hinzuweisen und (3) auf den Forschungsstand einzugehen. Das ist auch nicht unbedingt ihre Aufgabe. Dennoch: in diesem Fall ist der Kontext nicht ganz uninteressant, wie die folgenden Anmerkungen zeigen.

1. Traum und Lüge Francos in Deutschland

In das Jahr 1968 fällt die (vermutlich erste) deutsche Publikation der Radierungen (als Faksimile im Postkartenformat) und des Gedichts. Es gibt davon zwei Versionen. Die eine erschien im Insel Verlag Frankfurt am Main als Nr. 880 der Insel-Bücherei und enthält ein Nachwort des renommierten Kunsthistorikers Werner Spies. Die andere erschien im Insel-Verlag Leipzig, ebenfalls als Nr. 880 der Insel-Bücherei, mit einem Nachwort des ebenfalls bekannten Kunsthistorikers Diether Schmidt. Die beiden immer noch lesenswerten Interpretationen des Werks fallen (auch systembedingt: BRD vs DDR) recht unterschiedlich aus. Die abgedruckte Übertragung des Spottgedichts stammt in beiden Ausgaben von Max Hölzer. Es ist davon auszugehen, dass die Übersetzung erst im Zusammenhang mit dieser Publikation entstanden ist (so auch eine Auskunft der Österreichischen Nationalbibliothek, die den Nachlass Hölzers betreut). Die Büchergilde bedient sich dieser Übersetzung (mit freundlicher Genehmigung von Roland Weber, dem Rechtsnachfolger Max Hölzers). Hölzer verfertigte, nebenbei bemerkt, im selben Jahr auch einen poetischen Text mit Spanienbezug Meditation in Kastilien, der zusammen mit sieben Lithographien Eduardo Chillidas verlegt wurde (St. Gallen: Erker-Presse 1968).

2. Picasso-Ausstellung im Städel Museum 2019

Die Ausstellung Picasso. Druckgrafik als Experiment, die vom 3. April bis 30. Juni 2019 im Städel Museum in Frankfurt am Main zu sehen war, wurde von Theresa Nisters kuratiert. Zu der Ausstellung gab es keinen Katalog, aber zwei erläuternde Texte der Kuratorin im STÄDELBLOG auf der Website des Museums: (a) Picasso als Druckgrafiker. Er tat das Gegenteil dessen, was man ihm beigebracht hatte und (b) Radierzyklus Traum und Lüge Francos. Picasso wird politisch.

Der Text des zweiten Blogbeitrags wanderte ohne weitere Überarbeitung, aber in leicht gekürzter Fassung, in die Publikation der Büchergilde. Verloren ging dabei der Hinweis auf die im Museum Ludwig in Köln aufbewahrten Originalkupferplatten, die Picasso verwendet hatte; verloren ging auch der Hinweis auf eine Schenkung.

Foto der Druckplatten und Drucke. Quelle: Beitrag im STÄDELBLOG

Herbert Meyer-Ellinger und Christoph Vowinckel hatten im Jahr 2019 dem Städel Museum eine der von Picasso für die Weltausstellung 1937 in Paris produzierten Mappen mit dem Titel Sueños y Mentira de Franco vermacht. Von diesen blau-grauen Mappen, die den Radierzyklus, das Prosagedicht in der Handschrift Picassos (als Faksimile) und eine Reproduktion in Druckschrift (spanisch) sowie eine Übertragung ins Französische enthielten (auch von einer Übertragung ins Englische ist manchmal die Rede), hatte Picasso 850 Exemplare produziert. Für die Publikation der Büchergilde ist das insofern relevant, als genau das als Geschenk erhaltene Exemplar (Nummer 656/850, wenn ich richtig entziffere) für die Faksimileausgabe der Büchergilde verwendet wurde. Auf die Edition der Büchergilde bezogen ist auch festzuhalten, dass der Schuber und sein Inhalt nicht ganz das Äquivalent der Mappe bilden, wenngleich die zwei zentralen Arbeiten, der Radierzyklus und das Gedicht enthalten sind. Der Titel der Mappe entspricht nicht dem Titel des Schubers, das Gedicht hatte ursprünglich keinen Titel, und die handschriftliche Variante des Gedichts fehlt hier. Mehr Nähe zum Original der Mappe wäre eine attraktive Gestaltungsalternative gewesen.

3. Der Forschungsstand

Der erläuternde Text (ohne Quellenangaben) von Theresa Nisters ist trotz einiger Ungenauigkeiten durchaus nützlich, um die Arbeit Picassos an den Radierungen und dem Gedicht grob einzuordnen. Wer weiter in das Thema einsteigen möchte, dem sei aus der Unmenge an einschlägigen Publikationen der Ausstellungskatalog empfohlen, den die Picasso Museen in Malaga und Barcelona 2011 erstellten, und darin besonders der einleitende Beitrag der Kuratoren Salvador Haro und Inocente Soto, der in Spanisch und Englisch vorliegt und online verfügbar ist: El sueño del compromiso bzw. The dream of commitment (In: Viñetas en el Frente / Cartoons on the front line (Ausstellungskatalog), Museum Picasso Málaga 2011, S. 14-29 / S. 157-166, ISBN der spanisch/englischen Ausgabe 978-84-9850-302-9, katalanisch/englische Ausgabe des Picasso-Museums in Barcelona: ISBN 978-84-9850-301-2).

4. Traum und Lüge Francos, Guernica und das Geld

Der Zusammenhang des Radierzyklus mit Guernica ist bekannt: 14 der 18 Bilder des Zyklus entstanden an zwei Tagen im Januar 1937, also Monate vor dem Beginn der Arbeit Picassos an dem später Guernica genannten Werk. Die vier letzten Bilder des Radierzyklus entstanden nach Fertigstellung von Guernica und ihre stilistische wie motivische Nähe zu Guernica ist offensichtlich. Beide Arbeiten wurden auf der Weltausstellung 1937 in Paris im spanischen Pavillon präsentiert. Der Text von Theresa Nisters endet mit dem Satz «Diese Mappen wurden auf der Weltausstellung im spanischen Pavillon verkauft – dort, wo das Publikum auch zum ersten Mal das Gemälde Guernica zu sehen bekam. Den Erlös spendete Picasso der spanischen Republik.»

Abschließend möchte ich auf eine Polemik hinweisen, die sich um die Frage dreht, ob Picasso aus Idealismus und Patriotismus für die spanische Republik malte oder des Geldes wegen. Diese Polemik ist im Kontext eines in Spanien zu beobachtenden Geschichtsrevisionismus zu sehen, dem daran liegt, republikanische und mit der Linken verbundene Erfolge und Narrative abzuwerten, und die Geschichte neu zu deuten. Die Frage, was Picasso von der spanischen Regierung 1937 für Guernica bekam, der in der Online-Zeitschrift Revista de Historia im April 2018 nachgegangen wurde, kommt zu dem Ergebnis: umgerechnet 11.430.288,54 Euro. Dieses Resultat basiert zwar auf einem eklatanten Rechenfehler, wurde aber bis auf den heutigen Tag (11.10.2020) in der genannten Online-Zeitschrift nicht korrigiert und kann sich weiter verbreiten.

Arturo Pérez-Reverte, ein auch in Deutschland bekannter Schriftsteller, goss im Oktober 2018 anlässlich der Vorstellung seines neuen Buches Sabotaje Öl ins Feuer. In dem fiktionalen Krimi geht es um einen Geheimagenten, der 1937 im Auftrag Francos nach Paris kommt, um zu verhindern, dass Picassos Guernica auf der Weltausstellung gezeigt wird. Im Zusammenhang der Buchvorstellung soll Pérez-Reverte mit Bezug auf Picasso gesagt haben: «no pintó el Guernica por patriotismo ni por democracia; lo pintó por muchísimo dinero» [er malte Guernica nicht aus Patriotismus und nicht der Demokratie wegen; er malte es für sehr viel Geld]. (siehe: El Pais vom 3. Oktober 2018). Dieses Zitat machte dann die Runde.

In der Tageszeitung El Pais vom 6.10.2018 wird die Bezahlung Picassos erneut rekonstruiert (und dabei auch in einem Erratum eingeräumt, dass die früher angenommen 11,4 Millionen sich einer falschen Rechnung verdanken). Es steht außer Frage, dass Picasso 200.000 Franc von der republikanischen Regierung für den Ankauf des Bildes Guernica bekam. Aber dieser Summe entsprechen umgerechnet nicht 11,4 Millionen, sondern nur 114.000 Euro. Ein Franc war nach Angaben des französischen INSEE, des Nationalen Instituts für Statistik und Wirtschaftsplanung, 1937 etwa 0,57 Euro wert (siehe zur Entwicklung des Franc z.B. die auf Daten des INSEE beruhende Grafik).

Auch Pérez-Reverte dürfte wissen, dass Picasso der spanischen Republik verbunden war, und dass er nicht nur Geld für Guernica erhielt. Wer sich auf die Weltausstellung von 1937 bezieht, sollte fairerweise das für Guernica erhaltene Geld in Beziehung zu dem Erlös aus den Mappenverkäufen setzen, den Picasso spendete.

1.000 Mappen wurden erstellt: 850 blau-graue Mappen und 150 teurere, beige Mappen, die vom Künstler handsigniert waren. Die 850 blauen Mappen wurden für je 200 Franc angeboten und die höherwertigen 150 Mappen für je 500 Franc (siehe dazu die spanische Wikipedia). Rein rechnerisch macht das in der Summe 139.650 Euro. Aus Sicht der spanischen Republik könnte man fast von einem Nullsummenspiel sprechen: den 200.000 Franc, die für Guernica ausgegeben wurde, standen mögliche 245.000 Franc Einnahmen durch die Mappenverkäufe gegenüber. Dass vielleicht nur wenige Exemplare auf der Weltausstellung verkauft wurden, steht auf einem anderen Blatt. Auf einem anderen Blatt steht auch, dass Picasso sogar 300.000 Franc für die spanische Republik gespendet haben soll (London Bulletin no. 8-9 Januar Februar 1939, S. 59).

Fazit: Bei der Büchergilde ist jeder und jede schon mit sehr günstigen 18 Euro für das Gesamtpaket Traum und Lüge Francos dabei, und hat damit die Chance, sich mit dem Bilderzyklus in Originalgröße auseinanderzusetzen. Das ist, trotz der kritischen Anmerkungen, die Hauptsache.

Pablo Picasso: Das Licht hält sich die Augen zu: Radierzyklus und Spottgedicht „Traum und Lüge Francos“. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg (Edition Büchergilde, Büchergilde Bilderbogen No 5, hrsg. von Cosima Schneider) 2020, ISBN 978-3-86406-103-5

Enric Juliana: Aquí no hemos venido a estudiar

Vom anti-franquistischen Widerstand der kommunistischen Partei Spaniens bis zu ihrer Bedeutungslosigkeit. Eine Hommage an Manuel Moreno und eine eindrucksvolle Lektion in spanischer Zeitgeschichte

Rezension von Knud Böhle | 05.09.2020

Enric Juliana, Journalist und stellvertretender Direktor der Zeitung La Vanguardia, erzählt uns die berührende Geschichte vom Schlosser Manuel Moreno aus Badalona, den er noch persönlich kannte und von dem er viel lernte. Moreno ist das leuchtende Beispiel eines integren, unbeugsamen, selbst denkenden Kommunisten und Widerstandskämpfers gegen die Franco-Diktatur. Die Zeit von 1947 bis 1964 verbrachte er als politischer Häftling im „kältesten Gefängnis Spaniens“ in Burgos. „Aquí no hemos venido a estudiar“ (Wir sind hier nicht zum Studieren hingekommen) setzt Manuel Moreno Mauricio ein Denkmal.

Dem Autor geht es, ausgehend von dem Einzelschicksal, aber um mehr. Es geht um Geschichte: „Die Geschichte des Gefängnisses in Burgos ist die Geschichte des Franquismus“ (S. 125). Den Schlüssel zu dieser Geschichte hat Juliana im Höhlengleichnis Platons gefunden: wer in der Höhle sitzt muss Schattenbilder interpretieren, um auf die wirklichen Verhältnisse zu schließen. Aber nicht nur die Häftlinge sitzen in der Höhle. Auch die kommunistische Partei Spaniens im Exil befindet sich in einer Höhle und kann die Verhältnisse in Spanien nicht zweifelsfrei deuten. Noch schwieriger wird es, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn die Weltmächte ins Spiel kommen und wie im Kalten Krieg geschehen, ihre Interessen rücksichtslos verfolgen.

Um 1960 saßen etwa 1.000 politische Häftlinge im „kältesten Gefängnis Spaniens“, von denen die meisten der PCE (Partido Comunista de España) bzw. der PSUC (Partit Socialista Unificat de Catalunya) angehörten. Wir lernen den Alltag in dem Gefängnis kennen: einerseits Verhöre, Folter, Isolation und Repression, andererseits Disziplin, Organisation, geheime Aktivitäten, Schulungen, Diskussionen und Widerstandsaktionen, aber auch Angst vor Verrätern und Spitzeln. Das Gefängnis bildet eine eigene soziale Realität, deren Schilderung mit einer Vielzahl oft abenteuerlicher Lebensgeschichten prominenter und weniger prominenter Parteimitglieder verbunden wird. Das Gefängnis wird zum Resonanzraum der Geschichte und zum Schauplatz des dramaturgisch geschickt in den Mittelpunkt gestellten Konflikts zwischen Manuel Moreno (PSUC) und Ramón Ormazábal von der kommunistischen Partei des Baskenlandes (Partido Comunista de Euskadi, PCE-EPK). Nachdem Ormazábal 1962 illegale Streiks im Baskenland organisiert hatte, wurde er gefasst und kam nach Burgos. Von ihm stammt der Titel gebende Satz „Aquí no hemos venido a estudiar“ (Wir sind hier nicht zum Studieren hingekommen). Er interpretiert nämlich die beträchtliche Streikbeteiligung als Hinweis auf ein mögliches, nahes Ende des Franco-Regimes und drängt auf unterstützende Aktionen vom Gefängnis aus. Manuel Moreno ist davon nicht überzeugt, sieht den Franquismus nicht am Ende und plädiert für das Lernen. Der Baske setzt sich in der Auseinandersetzung durch.

Da es Juliana auch um die Geschichte der PCE geht, ihre inneren Kämpfe, Fehleinschätzungen, Niederlagen und Kursänderungen, wird die Kontroverse Aktion vs. Reflexion auf der Ebene der Parteiführung ebenfalls zum Thema. Dolores Ibárruri und Santiago Carrillo müssen sich mit Javier Pradera, Jorge Semprún, Fernando Claudín und weiteren Dissidenten auseinandersetzen. Diese werden dann Mitte der 60er Jahre aus der Partei ausgeschlossen, unter anderem deshalb, weil sie den gesellschaftlichen Wandel in Spanien, den wirtschaftlichen Aufschwung und die wachsende Konfliktbereitschaft der Arbeiter anders interpretiert haben. Den Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzungen im Gefängnis wie in der Partei bildet die Frage, als wie hinfällig oder langlebig das Franco-Regime Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre einzuschätzen ist.

In der Literatur wird die neue Wirtschaftspolitik des Regimes häufig allein dem Einfluss der Technokraten des Opus Dei zugeschrieben. Dem widerspricht Juliana. Für ihn ist die Schlüsselfigur der wirtschaftspolitischen Wende der Ökonom Joan Sardà Dexeus, den er für den wichtigsten spanischen Wirtschaftsfachmann des 20. Jahrhunderts hält (S. 37). Sardà mag eine schillernde Persönlichkeit gewesen sein, Mitglied des Opus Dei war er jedenfalls nicht. Während des Bürgerkriegs hatte er schon die Wirtschaftspolitik der republikanischen Regionalregierung Kataloniens wesentlich mitgestaltet. Nun begegnet uns der anpassungsfähige Katalane als geistiger Vater des Stabilisierungsplans, der den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Franco-Regimes vermeiden half: Wachstum, bescheidener Wohlstand, entpolitisierte Mittelschichten… . Auf die Bedeutung Sardàs als Ökonom hinzuweisen, ist sicherlich angebracht. Ihn wie einen Deus ex Machina aus Katalonien einzuführen, erscheint mir gleichwohl etwas überzeichnet (insbesondere nach der Lektüre von Anna Catharina Hofmann: Francos Moderne. Technokratie und Diktatur in Spanien 1956-1973, siehe: https://spanienecho.net/rezensionen/).

Die neue ökonomische Politik bildet den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des Franquismus. Mit Verspätung erst reagiert die Parteiführung des PCE adäquat auf die neue Situation, wendet sich vom Stalinismus ab und dem Eurokommunismus zu. Nach dem Ende der Diktatur 1975 konnte die Partei hoffen, in der Parteiendemokratie eine wichtige Rolle zu spielen. Sie hatte den erbittertsten Widerstand gegen das Franco-Regime geleistet, war über die Basisarbeit in den Comisiones Obreras in den Fabriken anerkannt, und zählte zum Zeitpunkt der ersten freien Wahlen 1977 200.000 Mitglieder (weit mehr als der Partido Socialista Obrero Español, PSOE, mit ca. 50.000 Mitgliedern). Während der Transition gelang es dem PCE durchaus noch, Einfluss auf die Politik zu nehmen, exemplarisch bei der Erarbeitung der Verfassung von 1978 und dem Moncloa-Pakt. Trotzdem hat die Partei in den folgenden Jahren dann ihre Bedeutung fast gänzlich eingebüßt und ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Spätestens nach der vorgezogenen Neuwahl 1982 mit der absoluten Mehrheit des konkurrierenden PSOE beginnt der Weg des PCE in die Bedeutungslosigkeit. Juliana leistet auch hier die nötige Erinnerungsarbeit.

Journalistisch zieht Juliana alle Register, um das Buch zu einem „page-turner“ zu machen. Einiges davon wurde schon angedeutet: das Höhlengleichnis, die immer weiter werdenden Kreise um die Höhle von der Gefängniszelle bis zur Weltpolitik (filmisch: zoom-out, zoom-in), die Gegenüberstellung von Aktion und Reflexion auf verschiedenen Ebenen (Ormazábal vs. Moreno; Parteiführung vs. Dissidenten), die abenteuerlichen Lebenswege von Ormazábal und Moreno im Gegenschnitt sowie weitere oft sehr dramatische Einzelschicksale, die eingewoben werden (z.B. von Julián Grimau oder Juan Comorera) und Rückblicke auf die Zeit der Zweiten Republik und des Bürgerkriegs ermöglichen.

Der Autor kombiniert Persönliches, Archivmaterial, Analyse, Sentenzen und Anekdoten. Dabei entsteht ein einzigartiges literarisches Konstrukt, das vielleicht am ehesten als Essay bezeichnet werden kann. Um die vielleicht schönste Anekdote hier noch abschließend anzuführen: Es war ein andalusischer Priester, der „Cura Pitillo“ aus Vélez-Rubio, dem Geburtsort Morenos, dem der Kommunist Manuel Moreno die Umwandlung der gegen ihn verhängten Todesstrafe in eine Haftstrafe verdankte. Diesem gelang es nämlich zu Eva Perón, die bei ihrem Spanienbesuch 1947 auch Granada besuchte, vorzudringen. Er überreichte ihr seinen Brief mit dem Begnadigungswunsch, und ihr gelang es offenbar, Franco zu diesem Gnadenakt zu bewegen.

Bleibt zu wünschen, dass das fesselnde Buch auch auf Deutsch verlegt wird.

Enric Juliana: Aquí no hemos venido a estudiar: Memoria de una discusión en el penal más duro de la dictadura. El debate de un mundo olvidado que explica el presente. Arpa Editores: Barcelona 2020. ISBN-10: 841762354X